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Wenn die Sache irre wird -
werden die Irren zu Profis Infos und Texte zur Aussageverweigerung
und Beugehaft aus dem Jahr 1988.
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Erfahrungsbericht einer Zeugin
Im Großen und Ganzen habe ich für mich das Gefühl,
richtig gehandelt zu haben, indem ich Aussagen gemacht habe. Zweifel
bleiben, kommen auch immer wieder auf. Es scheint notwendig zu sein
darzustellen, daß ich keine Aussagen gemacht habe, die dritte
Personen belasten bzw. in diese Geschichte verwickeln könnten.
Wie ich mit der Verhörsituation umgegangen bin, habe ich dort
erzählt, wo ich das Gefühl habe auch offen damit umgehen
zu können. Ich habe das auch zu dem Zweck gemacht, damit diese
Leute wiederum gegenüber anderen klarstellen können, daß
die Aussagen, die in Karlsruhe und Essen gemacht wurden, eine andere
Qualität haben als die, die im Zusammenhang mit den Startbahnschüssen
zunächst gelaufen sind.
Ich wurde dazu gezwungen, Aussagen zu machen. Meine Einstellung
zur Aussageverweigerung schlechthin hat sich dadurch aber nicht
von einem Tag auf den nächsten verkehrt. Nach wie vor finde
ich es richtig, Aussagen im Zusammenhang mit Verfahren nach dem
§129a zu verweigern. Trotzdem können wir in dieser Haltung
nicht verharren, ohne zu diskutieren, wie wir damit umgehen, wenn
der Druck auf die Einzelnen, z.B. unter der Androhung von Beugehaft,
zu groß wird. Gibt es in so einer Situation Wege, möglichst
wenig zu sagen, eben um nicht mit dem Staatsschutz zu kooperieren?
Ich habe gelernt, daß es faktisch kein kollektives Vorgehen
gibt, jedenfalls nicht in der Form, daß alle zum Schluß
in der gleichen Art und Weise handeln. Trotzdem ist das sich-zusammen-hocken
und austauschen, heulen und lachen, gemeinsam nach Lösungen
suchen ein wichtiger Prozeß. Uns als Gruppe der Vorgeladenen
unter Ausschluß anderer Leute zu treffen, war absolut notwendig.
Wir haben allerdings den Fehler gemacht, die Diskussionen um unsere
Ängste, unsere labile emotionale Situation, unsere ökonomischen
und beziehungsmäßigen Probleme nur unter uns zu führen.
Aus Angst, der Statsschutz könnte unsere Schwächen mitkriegen
und genau in diese Kerben hauen, haben wir davon noch nicht mal
was in die uns direkt unterstützenden Kreise fließen
lassen. Außerdem hat aus juristisch-taktischen Gründen
keine von uns vorher offengelegt, wie sie sich nun genau bei ihrer
3. Vorladung zu verhalten gedenke, d. h. wie die Strategie der Einzelnen
aussieht.
Das hatte fatale Folgen. Auf allen Flugblättern, in allen
veröffentlichten Publikationen, auf Plakaten und in politischen
Diskussionen ging es nur um die Aussageverweigerung bis in die letzte
Konsequenz, nämlich für ein halbes Jahr in den Bau zu
wandern. Die unterstützenden Leute fühlen sich jetzt teilweise
benutzt und verarscht, weil die meisten von uns doch Aussagen gemacht
haben. Sie hatten angenommen, wir alle würden im Zweifelsfall
für die Aussageverweigerung in den Knast gehen.
Wir müssen also offener diskutieren. Der Anstoß und
das Bemühen darum muß meiner Meinung nach aber genausogut
von den UnterstützerInnen kommen. Es ist naiv zu glauben, daß
da 8 Leute sind, die diese Situation für sich mal ganz locker
wegstecken und mal eben für einen Frühling und Sommer
lang im Knast verschwinden. In der Theorie habe ich auch gesagt,
Aussageverweigerung bis in den Knast. Als die Bedrohung spürbar
war, hatte ich oft das Gefühl an der Schizophrenie kaputtzugehen.
Noch nie zuvor habe ich so intensiv gefühlt, wie ich mich nach
dem Frühling, nach Sonne, Wärme, bunten Blüten und
schönen Gefühlen sehne. - Trotzdem, jedesmal wenn ich
die Sicherheit hatte, mit den anderen zusammen ein gemeinsames Vorgehen
gefunden zu haben, ging es mir gut. Sobald alles wieder schwankte,
ging es mir total beschissen. Ein Grund dafür war, daß
ich nur dann einen Sinn darin sah in den Knast zu gehen, wenn wir
es gemeinsam getan hätten, um zu zeigen, daß wir uns
nicht kleinkriegen und spalten lassen und in der Hoffnung, daß
das Vorgehen des Staatsschutzes Empörung bis in die liberale
Öffentlichkeit hinein auslösen würde. Der Druck der
Öffentlichkeit hätte dann vielleicht bewirkt, daß
der Staatsschutz die 6 Monate Beugehaft nicht hätte durchziehen
wollen.
Zu erfahren, daß einige Leute für sich entschieden hatten,
einige Aussagen zu machen und andere nach §55 zu verweigern,
veränderte die Situation für mich. Deshalb mußte
ich mich nochmal mit den wenigen Handlungsalternativen, die ich
hatte, auseinandersetzen. Mir wurde immer klarer, daß ich
letztendlich meine individuelle Entscheidung treffen und tragen
mußte. Das hieß, ich mußte die Spekulationen über
ein gemeinsames Vorgehen aufgeben, zumindest im Zusammenhang mit
meiner Entscheidungsfindung.
Ich habe also nochmal intensiver im Knastratgeber gelesen, um mir
die Knastsituation zu vergegenwärtigen. Dann habe ich mit einem
geredet, der selbst mal gesessen hat. Auf der anderen Seite habe
ich fiktive Verhörfragen aufgeschrieben und mich hingesetzt,
um sie zu beantworten. Irgendwann habe ich den Kuli in die Ecke
geschmissen und beschlossen die Aussage zu verweigern; es ist zu
riskant und zu kompliziert mich auf deren Logik einzulassen.
Dann bin ich in den Park gegangen, hab eine Frau getroffen, die
mir sagte, daß sie und andere finden, ich solle nicht in den
Knast gehen. Also habe ich mich wieder an die Fragen gehockt und
mich auf deren Beantwortung eingelassen. Nach einer Weile habe ich
sowas wie einen Sog verspürt, der den Effekt hatte, daß
ich mir nach und nach immer weniger bei der einzelnen Frage überlegt
habe, ob ich sie überhaupt beantworten will. Ich merkte, daß
ich sehr damit beschäftigt war, nur noch zu überlegen,
wie ich diese Frage beantworten sollte, um so wenig wie möglich
mit dieser Antwort auszusagen. Das war also eine Gefahr, in die
ich bei einer Vernehmung geraten könnte für den Fall,
daß ich Aussagen machen würde.
Die Entscheidungen sahen letztlich so aus , daß Einige weiterhin
die Aussage verweigern wollten. Andere wollten zunächst die
Aussage verweigern und sehen, wie sie mit der Knastsituation klarkommen
würden. Daran gemessen wollten sie ihr weiteres Vorgehen bestimmen.
Im Hinterkopf bei uns war dabei, wenn wir alle jede Aussage nach
dem §55 verweigern, dann können sie uns nicht sofort einknasten,
weil die Begründung für den Beugehaftbeschluß sich
auf unserere juristisch nicht begründete Aussageverweigerung
bezieht. Zumindest würde sich der Haftantritt verzögern,
weil unserer Meinung nach ein neuer Beugehaftbeschluß gemacht
werden mußte, der sich auf die veränderte Situation bezieht.
Also gut, angenommen wir würden sofort eingeknastet, so wäre
der Ermittlungsrichter bestimmt "froh", nach ca. 3 Wochen
eine grundsätzliche Aussagebereitschaft von uns signalisiert
zu bekommen. Wir nahmen an, es könnte einen Kompromiß
geben, sozusagen bis zu 5 Fragen gestellt zu bekommen, die nicht
so "heikel" sind, auf deren Beantwortung wir uns einlassen
können.
Mit diesen Überlegungen im Kopf sind wir am 16.3. nach Karlsruhe
gefahren. Spätestens als klar war, daß die BAW gegen
Gabi in absoluter Härte vorgegangen ist, war auch klar, daß
unsere schlimmsten Befürchtungen noch übertroffen wurden.
Es war klar, wenn ich jetzt in den Knast gehe, gibt es keine Kompromisse
mehr. Entweder ich bleibe dann das halbe Jahr drin oder ich komme
nur raus, wenn ich die ganze Tortur der Befragung über mich
ergehen lasse. Konsequenz: entweder ich gehe jetzt rein und das
für ein halbes Jahr; oder ich bleib draußen in der Hoffnung,
daß sie mich nach einmaliger Befragung in Ruhe lassen.
Gedanken um Gabi: wie geht es ihr jetzt?
Ich fühle mich beschissen, spüre, daß der Druck
wiederkommt, daß ich mich neu entscheiden muß unter
neuen Umständen. Meine Gedanken schwanken zwischen "Gabi
nicht alleine lassen" und der Angst als "Hardlinerin"
in den Augen der Staatsschutzbehörden dazustehen und im Anschluß
an die Beugehaft weiter mit Mitteln wie Strafvereitelungsverfahren
und / oder §129a Verfahren verfolgt zu werden.
Ich habe dann Aussagen in Kombination mit dem §55 gemacht.
Die Verhörsituation war anstrengend. Mich dazu zu zwingen jede
Frage dahingehend zu prüfen, ob ich sie überhaupt beantworte,
ist mir nicht immer gelungen. Hinzu kam, daß ich mit meiner
Nervosität zu kämpfen hatte. Den Körper unter Kontrolle
zu kriegen, um nicht offensichtlich zu zittern.
In so einer Verhörsituation ist es wichtig auf bestimmte Sachen
zu achten:
Zu jeder Frage rausgehen, damit der Gesamteindruck nicht hängenbleibt,
zu welchen Fragen man/frau sich erstmal mit Rechtsbeistand beraten
muß, und welche Fragen spontan beantwortet werden. Außerdem
gebe ich mir damit die Zeit, in Ruhe über die gestellte Frage
nachzudenken und meine Möglichkeit damit umzugehen. Wenn ich
dann noch die Fragen und Antworten protokolliere, kann ich nachsehen,
ob mir diese Frage nicht schon einmal in einer anderen Variante
gestellt wurde. Es ist wichtig, das Protokoll denen zur Verfügung
zu stellen, die ebenfalls "betroffen" sind, sei es von
Vorladungen oder von Ermittlungsverfahren in diesem Zusammenhang.
Jetzt komme ich zu meinen Erwartungen, die ich den Leuten gegenüber
habe, die sich mit Aussageverweigerung beschäftigen. Setzt
euch solidarisch mit den Vorgeladenen auseinander. Versucht die
Situation, in den Knast zu gehen, emotional so weit es geht, an
euch heranzulassen. Guckt, ausgehend von eurem eigenen Standort,
was es bedeutet, folgende Sachen in eure Entscheidung einzubeziehen:
- die eigene politische Einschätzung
- die ökonomische Situation - evtl. Verlust von Wohnung,
Arbeitsplatz, Anspruch auf Ärbeitslosenhilfe usw. - Schulden,
die sich nach einem halben Jahr Beugehaft in Höhe von 7000,-
bis 11000,- DM angesammelt haben (Merke: der Knastaufenthalt ist
selbst zu bezahlen!)
- die emotionale Situation - im Herbst ist es leichter in den
Knast zu gehen als im Frühling - wie ist meine psychische
Konstitution?
- die soziale Situation - wie ist das mit meiner Liebesbeziehung
und meiner WG zu vereinbaren? - Die meist ziemlich nervende Auseinandersetzung
mit der Familie nicht zu vergessen.
- die Zweifel, ob ich mit der Knastsituation und den Leuten dort
klar komme.
- die Zweifel, ob ich mit der Verhörsituation und den Folgen
klarkomme,
ich kann jeder Zeit wieder vorgeladen werden; der Beugehaftbeschluß
wurde nur ausgesetzt, d. h. ich stehe bei einer erneuten Vorladung
wieder vor der Knastbedrohung;
ich kann nur hoffen, nicht mal in einem Prozeß zu sitzen
und da miterleben zu müssen, wie meine Aussagen in einem BAW-Konstrukt
auftauchen.
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