|
Wenn die Sache irre wird -
werden die Irren zu Profis Infos und Texte zur Aussageverweigerung
und Beugehaft aus dem Jahr 1988.
Nächster Text
Hätten Sie's gewußt? - Die BAW fragt
Zur Verhörsituation bei der Bundesanwaltschaft
Allgemein ist zu sagen, daß die einzige Person, die auf deiner
Seite dem Verhör beiwohnen kann, dein Rechtsbeistand, d.h.
eine Anwältln ist. Bei den Vorladungen am 16. März und
3. April 1989 saßen den Verhörten jeweils 1 Staatsanwalt,
2 Typen vom BKA und eine protokollierende Schreibkraft gegenüber.
Die erste Hälfte der Befragung erfolgte durch den Staatsanwalt.
Der zweite Teil der Fragen wurde von einem BKA'Ier gestellt.
Es wurde immer nur eine Frage gestellt und nach ihrer Beantwortung
die nächste. Es war also nicht möglich den Fragenkatalog
vorher einzusehen.
Die Verhördauer lag jeweils zwischen 1 - 3 Stunden.
Alle Fragen, die sich auf dritte Personen bezogen und ein Teil
der Fragen,die sich auf die Befragten selbst bezogen, wurden, soweit
es uns bekannt ist, mit Hinweis auf den §55 nicht beantwortet.
Die Verweigerung der Aussage wurde dabei nicht in allen Fällen
vom Staatsanwalt anerkannt. Trotzdem blieben die Befragten in diesen
Fällen bei der Aussageverweigerung. Soweit wir wissen, betrug
der Anteil der so verweigerten Auskünfte im Verhältnis
zum gesamten Fragenkatalog zwischen 1/4 und 1/5. Im Laufe der Verhöre
ist über nachhakende Fragen ab und zu versucht worden, eine
Gespächsebene herzustellen.
In welche Richtung gingen die Fragen?
Bei den Vernehmungen durch die BAW am 16.3. und am 3.4. sowie sonstigen,
uns bekannten Verhören variierte die Zahl der Fragen zwischen
5 und 50. Dabei zählen wir jede Nachfrage, jedes Nachhaken
oder Konkretisieren als gesonderte Frage. Inhaltlich handelte es
sich um
- Fragen, die sich auf die Gesuchten bezogen (Kleidungsgewohnheiten;
Hobbies, wie z.B. basteln, löten, wandern; Berufstätigkeit;
Krankheiten; Eigenheiten; Abwesenheitszeiten von zu Hause; Aufenthaltsorte
während der Abwesenheit; Verbleib von Eigentum der Gesuchten;
Fragen nach "konspirativem Verhalten")
- Fragen, die sich auf das Verhältnis anderer Personen zu
den Gesuchten bezogen (Zu welchen Personen hatte X regelmäßigen
Kontakt, wer war bei X zu Besuch, wie war der Kontakt zu den Eltern
zu den Geschwistern)
- Fragen, die sich auf das Verhältnis der Befragten zu den
Gesuchten bezogen (Zeitraum des Zusammenwohnens und der Bekanntschaft
miteinander, Fragen nach dem letzten Zusammentreffen mit den Gesuchten
und nachd er Art des Verhältnisses zu den Gesuchten)
- Fragen, die sich auf die Befragten bezogen z.B. ob sie im September
'87 bei dem bundesweiten Treffen der Frauen gegen Gen- und
Reproduktionstechniken in Essen dabei waren
- Fragen, die sich direkt auf die Razzia vom 18.12.87 und die
darauffolgenden Tage bezogen (wer mit wem telefoniert hat; wie
Benachrichtigte reagiert haben, überrascht oder nicht; wer
sich um Eigentum und Regelung von Verwaltungskram der Gesuchten
nach dem 18.12. gekümmert hat)
- Es wurde eine Bildermappe vorgelegt, auf der neben Bildern von
Personen auch Kleiderpuppen abfotografiert waren.
Im Großen und Ganzen wurden bei den Verhören also Fragen
nach persönlichen Verhältnissen gestellt. Bei den beiden
Verhörterminen am 16.3..und 3.4. war unseres Wissens die einzige,
direkt auf politische Zusammenhänge zielende Frage, die folgende:
"Ist Ihnen konspiratives Verhalten derjenigen Teile der Frauenbewegung
bekannt, die gegen Gen- und Reproduktionstechnologien kämpfen?"
Auf die Nachfrage, was denn "konspirativ" sei, erwiderte
der Staatsanwalt, daß hierzu z.B. das Abschütteln observierender
Personen zähle. Desweiteren gehörte nach Auffassung der
BAW dazu, wenn eine Person einen Ort angibt, wo sie sich während
ihrer Abwesenheit von zu Hause aufhalten will, sich diese Person
aber dann an einem anderen Ort aufhält. Außerdem sei
es konspirativ, wenn jemand eine zweite Wohnung hat, ohne anderen
davon zuerzählen.
Gründe für die Aussageverweigerung
Mit dem Druckmittel der Beugehaft zur Aussageerpressung werden
wir es wohl in Zukunft vermehrt zu tun bekommen. Nach den Erfahrungen
im Ruhrgebiet und im Startbahnwiderstand, wo Zeuginnen sehr unterschiedlich
reagierten, liegt die Notwendigkeit zu einem kollektiven, politischen
Vorgehen gegen die Denunziationspflicht auf der Hand. Rein individuelle,
taktische Überlegungen können keine Basis für uns
sein.
Klar will keine/ r den Staatsschutzbehörden Informationen
über persönliche und politische Zusammenhänge liefern,
die dazu dienen, den Beweismittelnotstand der Karlsruher Ermittler
zu verdecken und Anklagekonstruktionen gegen die Beschuldigten zu
erleichtern. Schließlich begründet die BAW selbst in
einem ihrer Beugehaftanträge die Notwendigkeit von Zeuglnnenaussagen
damit, daß "im derzeitigen Stadium kaum noch andere Beweismittel
(gegen die Beschuldigten) erbracht werden können."
Was sind darüber hinaus die Ziele der Staatsschützer,
die sie mit der Erzwingung von Aussagen erreichen wollen?
- Da ist sicher zunächst das bereits genannte Ermittlungsinteresse.
Sie brauchen einfach dringend konkrete Informationen in bestimmten
Verfahren, in denen die Beweislage außerordentlich dünn
ist.
- Gleichzeitig ist diese Vorgehensweise darauf gerichtet, die
Scene zu verunsichern und ihre Struktur zu durchleuchten und zu
erfassen. (Wer kennt wen? Wer arbeitet in weichen politischen
Zusammenhängen?)
- Ein weiteres Ziel ist die generelle Einschüchterung und
Spaltung von politischem Widerstand. Sie reicht vom Herauspicken
Einzelner zu Zeuglnnenvorladungen bis zur Kriminalisierung der
Diskussion um die Aussageverweigerung. Dies zeigen z.B. die Ereignisse
in Bochum, wo bei einer Hausdurchsuchung gefundene Plakate und
Flugbätter über dieses Thema zu Ermittlungsverfahren
führten.
Unsere Interessen dagegen sind:
- niemanden zu verpfeifen oder zu belasten,.
- politische Zusammenhänge zu schaffen, in denen Verläßlichkeit
und Vertrauen existieren und offene Diskussionen möglich
sind,
- mit dem Staatsschutz keine Kooperation einzugehen.
Vor diesem Hintergrund werden hier nochmal die Gründe für
die generelle und konsequente Aussageverweigerung dargestellt. Sie
stehen im Gegensatz zur Berufung auf den §55 (Selbstbelastung)
und der Vorstellung, es gäbe entlastende Aussagen oder aber
"Gedächtnisschwund" wäre eine Lösung.
Es gibt keine entlastenden Aussagen
Es gibt keine entlastenden Aussagen. Das Interesse der Bundesanwaltschaft
besteht gerade darin, nur Belastendes zu finden. Anscheinend entlastende
Aussagen können schnell in ihr Gegenteil verkehrt werden. Zumal
es kaum absehbar ist, welche Informationen von der BAW zu Indizien
gemacht werden können in Verfahren, in denen es häufig
noch nicht einmal einen konkreten Tatvorwurf gibt. Die BAW ist sehr
phantasievoll in dieser Hinsicht!
Es gibt keine harmlosen Aussagen
Schon aus der Begründung laufender Ermittlungsverfahren wird
ersichtlich, daß es kaum Unverdächtiges in den Augen
der Staatsschützer gibt. So müssen z.B. als Indizien herhalten:
- das Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln, obwohl ein
eigenes Auto vorhanden ist,
- die Beschäftigung mit sog. anschlagsrelevanten Themen,
- das Treffen im Hinterzimmer einer Kneipe ohne am Telefon ausdrücklich
den Zweck des Treffens zu nennen,
- die Bekanntschaft mit Personen, die ihrerseits eines dieser
sog. Vergehen bezichtigt werden.
In der Begründung einiger Beugehaftanträge hieß
es, daß "Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich"
beweiserheblich seien, daß "durch persönliche, berufliche
oder gesellschaftliche Interessen erklärbares Verhalten der
Beschuldigten ermittelt werden muß, um es von Verhaltensweisen
zu unterscheiden, die ihre Erklärung in dem Engagement der
Beschuldigten für die terroristische Vereinigung RZ / Rote
Zora finden." Welches Verhalten wozu diente, wird natürlich
von den Ermittlungsbeamten entschieden. So ist es doch eine "Erkenntnis"
des BKA, daß es gerade die Strategie der Roten Zora ist, sich
auf Demonstrationen, öffentlichen Veranstaltungen, z.B. Kongressen
zu tummeln.
Auch im privaten Bereich, z.B. dem Zusammenwohnen in einer WG,
wird es schwierig mit harmlosen Antworten. Auf Fragen nach Freundinnen,
Bekannten, Aufstehgewohnheiten, Krankheiten, Lese- und Telefoniergewohnheilen
der beschuldigten Person zu antworten, daß diese Dinge nicht
bekannt seien, legt für das BKA den Schluß nahe, daß
diese Person konspirativ gehandelt haben muß.
Beispiel: Telefongespräche
Eine Zeugin wird gefragt, ob ihre Mitbewohnerin X mit Y bekannt
ist. Im Bemühen möglichst schwammig und unverbindlich
zu antworten, sagt die Zeugin: "Ich weiß nicht".
Nun hat aber das BKA die Person X schon länger bespitzelt und
ein Telefongespräch zwischen X und Y abgehört. Auf diesem
Hintergrund, der der Zeugin nicht bekannt ist, wird die Aussage
"ich weiß nicht" zur relevanten Information. Verheimlicht
die Zeugin die Beziehung, weil sie ihr heikel erscheint, oder hat
gar X selbst gegenüber der Zeugin die Beziehung zu Y verheimlicht?
Beides deutet auf eine möglicherweise konspirative Beziehung
zwischen X und Y hin.
Beispiel: Rasterfahndung
Auch scheinbar banale Aussagen können zur Aufstellung von
Rastern dienen. Die harmlose Eigenschaft, Leser der Süddeutschen.Zeitung
zu sein, ließ Rolf Pohle in das Fangnetz des BKA laufen. Durch
Observierung der Zeitungskioske in Athen wurde er beim Kauf einer
solchen erwischt.
Im Rahmen der Rasterfahndung ergeben dann auch Fragen nach Krankheiten,
Angewiesensein auf bestimmte Medikamente, Allergien, Kontaktlinsen
einen Sinn.
Es gibt keine banalen Fragen
Auch scheinbar banale Fragen und solche, auf die es amtliche Antworten
gibt, erfüllen ihren Zweck!!! Prinzipiell gilt, daß die
BAW keine dummen Fragen stellt.
Beispiel: Verhörsituation
Die BAW stellt eine Reihe Fragen wie: "wo hat X zu einem bestimmten
Zeitpunkt gewohnt?" - Natürlich wo er gemeldet war -,
"wo hat X gearbeitet?" etc.
Die Zeugin überlegt angestrengt, welche Frage ihr relativ
harmlos erscheint, welche nicht. Ihr Zögern, Ausweichen, ihre
schnelle Antwort können der BAW Hinweise auf sie möglicherweise
interessierenden Punkte in der Biographie der gesuchten Person geben.
Zeuglnnenbefragungen finden in der Regel als Frage und Antwort-
Spiel statt. D.h. die Zeuglnnen bekommen nicht einen Fragenkatalog
vorgelegt, wo sie von vornherein einen Überblick über
die einzelnen Fragen und deren mögliche Bedeutung haben und
eventuell in Ruhe entscheiden können, welche Frage sie beantworten.
Die BAW bemüht sich um die Atmosphäre eines Gespräches.
Blockiert eine Zeugin an einzelnen Punkten dieses Gespräches,
muß sie dies häufig begründen.
Diese zermürbende Situation hat z.B. im Falle eines Hamburger
Zeugen 3 Stunden gedauert. Die wenigsten Zeuglnnen werden sich nach
einer solchen Prozedur noch erinnern können, welche Informationen
sie dem Staatsschutz gegeben haben.
Vorhergehender Text
|