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Wenn die Sache irre wird
- werden die Irren zu Profis Infos und Texte zur Aussageverweigerung
und Beugehaft aus dem Jahr 1988.
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Vorneweg
Spätestens seit den Schüssen an der Startbahn mit den
nachfolgenden Festnahmen und Verhören von Beschuldigten und
Zeuginnen, bei denen es zu Aussagen und Belastungen en masse gekommen
ist, gibt es die Diskussion um Aussageverweigerung. Dabei schien
den meisten linken/linksradikalen Menschen die Forderung "Keine
Aussagen - Keine Kooperation mit dem Staatsschutz" politisch
klar zu sein.
In dem Moment jedoch, als die Staatschutzbehörden mit der
Anordnung von Beugehaft, d.h. Knast bis zu sechs Monaten, zum härtesten
möglichen Strafmittel gegen aussageunwillige Zeuglnnen griffen,
wurde die Forderung nach konsequenter Aussageverweigerung relativiert,
wurde eine Vielzahl von Argumenten in die Diskussion eingeführt,
warum das Festhalten an der Forderung angesichts der Drohung mit
Knast falsch sei, warum im individuellen Fall Aussagen oder die
Berufung auf eine mögliche Selbstbelastung nach § 55 StPO
sinnvoll sein könnten. Es tauchte die Frage auf, ob Knast nicht
ein zu hoher Preis für Aussageverweigerung sei. Zumal die theoretische
Erkenntnis, daß nur nichts zu sagen, wirklich sicher ist,
die betroffenen Zeuglnnen nicht "automatisch" auch zu
einem entsprechendem Verhalten veranlaßte.
Schließlich blieben von den acht Zeuglnnen, die vor die Alternative:
"Knast oder Aussagen" gestellt wurden, ja auch nur die
beiden Bochumerinnen bei ihrer Aussageverweigerung. Daß die
beiden nach sieben- bzw. zweiwöchiger Haft wieder draußen
sind, löst das Problem nicht. Vielmehr werden Zeuglnnenvorladungen
und sonstige Verhörversuche durch die Organe des Staatsschutzes
mit dem Ziel weitergehend uns einzuschüchtern und zu spalten,
unsere politischen und persönlichen Zusammenhänge auszuforschen
und zu zerstören, und Einzelne von uns gezielter zu verfolgen.
So wurden gerade erst vier Leute aus Köln als Zeugen vor das
OLG Düsseldorf zitiert. Sie sollten Aussagen in einem §
129a Verfahren gegen "unbekannt", wegen Unterstützung
einer nicht näher bezeichneten "terroristischen Vereinigung"
machen. Die Fragen, die ihnen gestellt wurden, bezogen sich auf
Personen, Zusammenhänge, Aktionen und Veranstaltungen rund
um die besetzte Weißhausstraße in Köln. (Die Zeugen
verweigerten die Aussagen; drei von ihnen erhielten Ordnungsgelder
in Höhe von 200 Mark.)
Ähnliches wird es in anderen Städten geben; und wir sollten
uns darauf vorbereiten, daß der Staatsschutz in Zukunft verstärkt
zum Druckmittel der Beugehaft greift. Gerade auch als Antwort auf
ein - hoffentlich - zunehmendes Aussageverweigerungsverhalten unsererseits.
Deshalb wollen wir mit dieser Broschüre versuchen, die Diskussionen
um Aussageverweigerung und Beugehaft, wie sie in den persönlichen
und politischen Zusammenhängen im Ruhrgebiet geführt wurden,
öffentlich zu machen und unsere Erfahrungen damit zu "sozialisieren".
Denn wir sind davon überzeugt, daß bei zukünftigen
Beugehaftanordnungen die Probleme, die sich uns gestellt haben,
so oder ähnlich auch an anderen Orten, in anderen Gruppen und
Bündnissen auftreten werden.
Mit anderen Worten: Diese Broschüre soll dazu beitragen, die
nach unseren Erfahrungen bei der Bedrohung mit Beugehaft auftretenden
Probleme und Diskussionen rechtzeitig anzugehen, damit Ihr in Zukunft
besser vorbereitet seid als wir es waren!
Dementsprechend dokumentieren wir weder den Verlauf der Aussageverweigerungskampagne
bzw. der Aktionen gegen Beugehaft hier im Ruhrgebiet, noch versuchen
wir eine politische Einschätzung der Ereignisse im Zusammenhang
bzw. in der Folge der Razzia am 18.12.1987. Das heißt. die
vorliegende Broschüre enthält nicht die Vielzahl von Flugblättern,
Presseerklärungen, Artikeln, Aktionen, Solidaritätserklärungen
usw., die zum Thema "Aussageverweigerung" bzw. "Beugehaft"
in der Region und bundesweit produziert worden sind. Und sie problematisiert
auch nicht den politischen Zusammenhang, in dem Zeuglnnenvorladungen
bzw. die Beugehaftbeschlüsse stehen.
Wir haben uns stattdessen aus den oben genannten Gründen auf
das Problem der Aussageverweigerung bei im Raum stehender Haftandrohung
beschränkt. Nach einem Informationsteil, der einen chronologischen
Abriß der Ereignisse, eine Beschreibung der Vernehmungssituation
durch die Bundesanwaltschaft und eine Zusamrnenfassung der uns bekannten
Fragen und Antworten bei verschiedenen Verhöranlässen
enthält, benennen wir in einem zweiten Teil noch einmal die
Gründe für eine konsequente Aussageverweigerung und stellen
drei unterschiedliche Positionen dar, die sich mit der Frage beschäftigen:
Aussageverweigerung trotz Beugehaft? Sie umreißen das Spektrum,
das in unseren Diskussionen eine Rolle spielte.
Welche Faktoren - jenseits der rationalen Einsicht in die Notwendigkeit
der Aussageverweigerung - angesichts der drohenden Beugehaft bei
betroffenen Zeuglnnen eine Rolle spielen und ihre Entscheidung wesentlich
mitbeeinflussen, und wie schwierig es ist, eine kollektive Auseinandersetzungsform
zu finden, in der diese Faktoren berücksichtigt werden, ohne
die Zeuglnnen unter falschen Druck zu setzten, und ohne ihnen die
Entscheidung mit allen Folgen allein zu überlassen, soll der
dritte Teil \/erdeutlichen. Dazu gibt es den Bericht einer Zeugin,
die aus sehr persönlicher Sicht beschreibt, wie sie die Dinge
erlebt hat. Und zvvei nicht minder subjektiv gefärbte Beiträge,
die vom entgegengesetzten Standpunkt, also aus der Position politisch
arbeitender Zusammenhänge, versuchen, die Schwierigkeiten und
Fehler im Verlauf des Auseinandersetzungsprozesses nachvoliziehbar
zu machen.
In einem vierten Teil schließlich reißen wir die Frage
nach dem politischen Stellenwert der Aussageverweigerung bzw. einer
weiteren Kampagne dazu an. Wir haben in diese Richtung bislang kaum
diskutiert, weshalb wir uns auf die Dokumentation eines Artikels
aus der Nr.2 der NICHT ZU FASSEN und eines Papiers der Redaktion
von AUFRUHR, einer Bochumer Szene-Zeitung, beschränken.
Abgesehen von einer kleinen "Literaturliste" zum Thema
findet ihr am Schluß der Broschüre ein Interview mit
den beiden Frauen, die in Beugehaft saßen. Wir haben es -aufgenommen,
weil sich viele von uns bis zur Inhaftierung der Beiden mit Knast
nie intensiv auseinandergesetzt hatten. Dementsprechend haben Knasthorror
und Spekulationen über die Bedingungen von Beugehaft unsere
Diskussionen sehr stark geprägt. Das Gespräch mit Gabi
und Gaby zeigt, daß ein großer Teil der Ängste
und Befürchtungen (Isolationshaft, 24-Punkte-Programm) überflüssig
waren.
Schickt uns Eure Kritik an der Broschüre und setzt die Diskussion
fort! Wir verabschieden uns bis auf weiteres.
Solidarische Grüße aus einem sonnigen Ruhrgebietsgärtchen
im Juli 1989
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