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Diverses

entnommen aus:

philtrat

nr. 22 - mai/juni 1998

"Überholtes Konzept"

Die RAF hat ihre Selbstauflösung erklärt - die Sondergesetze werden bleiben

Die Stadtguerilla in Form der RAF ist nun Geschichte." So beendet die "Rote Armee Fraktion" (RAF) in ihrer Abschiedserklärung ihr "Projekt", wie sie die Stadtguerilla rückblickend bezeichnet. Eine überfällige Erklärung, die wohl nur formale Bedeutung hat. Seit sie in ihrer Deeskalationserklärung von 1992 erklärte, "Angriffe auf führende Repräsentanten aus Wirtschaft und Staat" einzustellen, hat die RAF, außer der Sprengung des Gefängnisneubaus in Weiterstadt keine Anschläge mehr durchgeführt. Bereits 1996 erklärte sie in einem Brief an die junge Welt: "Das RAF-Konzept ist überholt" und "es kann auch keine modifizierte Neuauflage des Alten geben".

Den noch immer neun Gefangenen aus der RAF, die zum Teil seit über zwanzig Jahren unter härtesten Bedingungen ihre Haft verbringen, wird das vorraussichtlich nicht viel nützen. Eine Amnestie wird von Seiten der Union und der SPD abgelehnt.

Auch eine vollständige Aufhebung der Bestimmungen des in den 70er Jahren erlassenen "Antiterror"- Gesetzespakets ist nicht wahrscheinlich. Von Seiten der bündnisgrünen Bundestagsfraktion liegt zwar ein Antrag auf Aufhebung der Antiterror- esetze vor, über den in Kürze abgestimmt werden soll, und auch der Justizminister von Rheinland-Pfalz, Peter Caesar (FDP) setzte sich für eine Lockerung der Bedingungen des Kontaktsperregesetzes ein. Die CDU/CSU lehnt eine Lockerung der bestehenden Gesetze jedoch ab, und auch der stellvertretende Vorsitzende der SPD Bundestagsfraktion, Otto Schily - während des Stammheim- Prozesses als Verteidiger von Gudrun Ensslin selbst von Kontaktsperre und illegalen Abhöraktionen betroffen -, fordert nur die Aufhebung einzelner Bestimmungen.

1974, ein Jahr vor dem Beginn des Stammheimer Prozesses, wurden die ersten "Sondergesetze" erlassen. Seitdem dürfen Angeklagte von höchstens drei VerteidigerInnen vertreten werden und die AnwältInnen dürfen nicht mehr als einen Angeklagten oder eine Angeklagte verteidigen. Ebenfalls seit 1974 darf in besonderen Fällen sogar in Abwesenheit des/der Angeklagten verhandelt werden und der/die Angeklagte kann von der Staatsanwaltschaft bereits vor Prozeßbeginn zur Aussage gezwungen werden, ohne Anspruch auf eine/n VerteidigerIn. Eine weitere Änderung sah vor, daß Delikte, die - wie Terrorismus - die Generalbundesanwaltschaft verfolgt, in erster Instanz vor den Oberlandesgerichten und dort vor Staatsschutzkammern mit politisch besonders "zuverlässigen" RichterInnen verhandelt werden.

Zwei Jahre später trat der §129a in Kraft. Als Folge dieses Gummiparagraphen, der die "Unterstützung" oder die Mitgliedschaft in einer "terroristischen Vereinigung" betrifft, reicht seitdem der bloße Verdacht für einen Haftbefehl aus, ohne daß Flucht- oder Verdunklungsgefahr bestehen müssen. 1977 wurde innerhalb von drei Tagen, unter Mißachtung sämtlicher parlamentarisch üblicher Beratungsfristen, das Kontaktsperregesetz erlassen. Bereits vorher wurden VerteidigerInnen der RAF-Gefangenen trotz richterlicher Anordnungen nicht zu ihren MandantInnen vorgelassen. In "Notsituationen" kann die Regierung seitdem ohne richterlichen Beschluß Gefangene von jeglichem Kontakt zur Außenwelt isolieren. Zusätzlich wurde noch eine Trennscheibe für alle Gespräche mit den VerteidigerInnen obligatorisch gemacht.

Nach den Attentaten der RAF im Jahre 1986 auf Siemens-Vorstandsmitglied Karl-Heinz Beckurts und den Geheimdiplomaten Gerold von Braunmühl wurde der 1981 gestrichene §130a - Anleitung zu Straftaten - wieder eingeführt. "Nur die Militärjunta in Griechenland hatte 1969 Ähnliches angeordnet" schrieb hierzu die Zeit am 17. Oktober 1997. Außerdem wurde der §129a weiter verschärft, so daß jetzt schon Sachbeschädigungen - beispielsweise bei Demonstrationen - darunter gefaßt werden können. Der Strafrahmen wurde von fünf auf zehn Jahre angehoben.

Das Ziel dieser Gesetze ist die Kriminalisierung von Widerstand und Opposition. Sie wurden nicht ausschließlich gegen die RAF eingeführt und werden auch nicht "nur" auf sie angewandt. Gesetzesentwürfe dieser Art existierten schon seit den 60er Jahren, also bereits lange vor Gründung der RAF. Zwischen 1980 und 1996 wurden gegen mehr als 6000 Menschen - nahezu alle der Linken zuzurechnen - Verfahren nach §129a eingeleitet. Weniger als fünf Prozent endeten mit einer Verurteilung. In den letzten Jahren betraf dies hauptsächlich KurdInnen und Teile der linken Presse, so in den mittlerweile eingestellten Verfahren und Ermittlungen gegen angebliche Redaktionsmitglieder von radikal und interim. Eine Aufhebung all dieser Bestimmungen anläßlich der Auflösung der RAF ist eher unwahrscheinlich und auch die falsche Forderung, beziehungsweise die richtige Forderung im falschen Zusammenhang. Die Aufhebung der Verschärfungen zu fordern, mit der Begründung, die RAF habe sich ja jetzt aufgelöst, impliziert eine Notwendigkeit der Gesetze bei ihrem Entstehen und legitimiert diese dadurch im nachhinein.

Ebenfalls unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung wurden die immer noch andauernde Aufblähung des Bundeskriminalamtes (BKA) sowie die den Datenschutz verletzende Schleppnetz- und Rasterfahndung durchgesetzt. Als Horst Herold 1971 sein Amt als BKA-Chef antrat, betrug der Etat 54,8 Millionen Mark und die Anzahl der Mitarbeiter 1113. Zehn Jahre später besaß das BKA 3526 Mitarbeiter und einen Etat von 290 Millionen. Mittlerweile allerdings braucht es zur Begründung keinen "Terrorismus" mehr. Die "Organisierte Kriminalität" und der "Kindesmißbrauch" reichen als Bedrohungsszenarien völlig aus.

Die notwendige Freilassung der immer noch einsitzenden Gefangenen wird durch die offizielle Auflösung der RAF wohl auch nicht erreicht werden. Auch durch die schweren bis lebensgefährlichen Erkrankungen der Gefangenen, verursacht durch die jahrelangen Isolations- und Sonderhaftbedingungen, lassen sich die staatlichen Organe nicht zu Haftentlassungen bewegen. Isolationshaft bezweckt den Entzug möglichst aller sinnlicher Reize und verstößt gegen die Menschenrechtskonvention der UNO. Ihre Anwendung hat der BRD mehrfach - im übrigen folgenlose - Beschwerden von amnesty international, dem Menschenrechtsausschuß der UNO und dem Europäischen Parlament eingebracht.

Vorzeitig freigelassen wird nur, wer seiner/ ihrer Geschichte abschwört und/ oder in KronzeugInnenprozessen aussagt und andere belastet. Deutlich wird dies am Beispiel der RAF-AussteigerInnen, die in der ehemaligen DDR untergetaucht waren und nach der Wende verhaftet wurden. Fast alle von ihnen haben als KronzeugInnen gegen ehemalige RAF-Mitglieder ausgesagt und sind mittlerweile aus der Haft entlassen. Die meisten der jetzt noch einsitzenden Gefangenen bekamen durch diese Aussagen nachträglich eine "besondere Schwere der Schuld" bescheinigt, was eine Haftentlassung nach 15 Jahren unmöglich machen soll.

Patrick Hagen

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