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Diverses

Der Traum vom europäischen Rechtsraum

Peter Nowak 09.10.2001

Zur Erweiterung des umstrittenen Paragraphen 129a, der den Tatbestand der "kriminellen Vereinigung" auf Mitglieder und Unterstützer internationaler terroristischer Organisationen ausdehnt

Eine Person wird nach einer Demonstration festgenommen und in Untersuchungshaft gesteckt, weil sie eine Fahne mit dem Konterfei des lateinamerikanischen Revolutionärs Che Guevara getragen hat. Dieses Szenario könnte demnächst Wirklichkeit werden. Schließlich wurde auf einer Sitzung des Bundeskabinetts am 19. September die Einführung des neuen Paragraphen 129b ins Strafgesetzbuch beschlossen. Er soll den 1976 eingeführten und 1987 verschärften Paragraphen 129a ergänzen, der die Bildung, Mitgliedschaft, Unterstützung sowie die Werbung für terroristische Organisationen unter Strafe stellt.

Die neue Verschärfung soll den Tatbestand der "kriminellen Vereinigung" auf Mitglieder und Unterstützer internationaler terroristischer Organisationen ausdehnen. Dabei forderten Bürgerrechtsorganisationen sowie bündnisgrüne Politiker seit Jahren die Abschaffung des 129a, der seit seiner Einführung heftig umstritten [0] war.

Der juristische Berater bündnisgrüner Politiker Marc Holzberger schreibt [1] dazu: "Die linke und liberale Kritik des Anti- Terror- Strafrechts der 70er Jahre richtete sich vor allem gegen die Tatbestände des Werbens bzw. der Unterstützung einer "terroristischen" Vereinigung. ... In der Praxis werden damit vor allem mißliebige Meinungsäußerungen kriminalisiert: So wurden Journalisten der "Unterstützung terroristischer Vereinigungen" beschuldigt, weil sie Bekennerschreiben militanter Gruppen abdruckten. Sprayer, die die Wände der Münchener U-Bahn mit dem Slogan "Krieg den Palästen" und einem fünfzackigen Stern bemalten, wurden in den 80er Jahren wegen Werbens für eine terroristische Vereinigung zu zwölf Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt."

Die 1987 von dem Publizisten Oliver Tolmein in der Zeitschirft 'Konkret' publizierte Einschätzung [2] zum 129a ist auch heute noch aktuell.

"Zwei Besonderheiten fallen bei der Anwendung des Paragraphen 129a bisher auf: Ermittlungsverfahren gelangen unverhältnismäßig selten vor Gericht, wird aber doch einmal Anklage erhoben, werden die Angeklagten wiederum ungewöhnlich häufig und hart verurteilt. Der 129a ist ein flexibel einsetzbares und vielseitig nutzbares Instrument. Das begründet das besondere Interesse des Apparates an ihm: Im Vordergrund steht das Interesse an der Ausforschung des Protestmilieus."

Einen Befund, den kürzlich die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der PDS bestätigte. Danach endeten weniger als 3% der Ermittlungsverfahren, die in den 90er Jahren auf Grund des § 129a eingeleitet wurden, mit einem gerichtlichen Urteil. Die eingestellten restlichen 97% waren für den Staatsschutz keineswegs nutzlos, denn der § 129a eröffnet eine Fülle von Möglichkeiten zur Überwachung großer Personengruppen. So wurden Mitte der 90er Jahre im 129a-Verfahren gegen die Göttinger "Antifa M" binnen weniger Monate insgesamt 14.000 Telefongespräche abgehört.

Der Zeitpunkt der Einführung und Verschärfung dieses Paragraphen erfolgt immer im Windschatten von einer medial gesteuerten Terrorismushysterie. Er wurde 1976 eingeführt, als die Fahndung nach den Mitgliedern der Rote Armee Fraktion zu einer Jagd auf vermeintliche Sympathisanten geführt hatte, von der im zweifelsfall alle Menschen mit gesellschaftskritischen Ansichten tangiert war. Als der Geltungsbereich des 129a 1987 auf Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr, die Störung öffentlicher Betriebe, Brandanschläge auf Polizei- oder Militärfahrzeuge, sowie auf Anlagen des Energieversorgungsbereich ausgedehnt wurde, war die Anti-AKW-Bewegung auf dem Höhepunkt ihrer Aktivitäten. Die aktuelle Einführung des Paragraph 129b soll im Windschatten der Anschläge von New York und Washington über die Bühne gehen. Doch die Pläne reichen bis in den Dezember 1998, als der Rat der Innen- und Justizminister der EU alle Mitgliedstaaten verpflichtete, in ihr jeweiliges Strafrecht den Tatbestand der Beteiligung an einer "kriminellen Vereinigung" aufzunehmen. "Die rechtsstaatlich bedenkliche ogik des deutschen Staatsschutzstrafrechts - die einigen europäischen Rechtssystemen bislang völlig fremd gewesen ist - wurde damit zu einer verbindlichen Vorgabe für alle EU- Staaten" schreibt Holzberger im Magazin Cilip [3].

Mit der Einführung des 129b könnte der alte Traum vieler Sicherheitspolitiker vom einheitlichen Rechtsraum EU Wirklichkeit werden. Legale politische Handlungen wie Demonstrationen, Presseerklärungen etc. können dann kriminalisiert werden, wenn sie als Unterstützung für eine terroristische Vereinigung gewertet werden. Ein Problem bleibt dabei allerdings bestehen. Wer definiert, wann eine auch bewaffnet kämpfende Bewegung eine terroristische Vereinigung ist und sie wie die UCK im Kosovokrieg zu den Freiheitskämpfern gerechnet wird.

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http://www.freilassung.de/div/texte/129a/nowak_01.htm