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Satire

Kammergericht

In der Strafsache gegen E. und andere, hier nur gegen

Axel H.

... zur Zeit in der Justizvollzugsanstalt Moabit

wegen Bildung terroristischer Vereinigungen u. a.

Der Antrag der Generalbundesanwaltschaft, die an den Angeschuldigten gerichtete, den Poststempel vom 26. Oktober 2000 tragende, mit dem Namen "Roland" unterschriebene Postkarte von der Beförderung; auszuschließen, wird abgelehnt.

Die Beförderung der Postkarte wird genehmigt.

Gründe

Der Angeschuldigte befindet sich in der vorliegenden Sache in Untersuchungshaft. Auf der Vorderseite der an ihn gerichteten Postkarte ist das Bild "Die sieben Todsünden/Völlerei" abgedruckt. Die Rückseite hat der Absender "Roland" mit folgendem Text beschrieben. Lieber Axel, ich finde es erschütternd, daß unser Bundeskanzler A.D. jetzt auf Postkarten wie dieser dargestellt wird. Liebe Grüße Roland. Die Generalbundesanwaltschaft sieht in dem Schreiben eine grobe Beleidigung des Altbundeskanzlers Dr. Kohl, hält die Ordnung in der Anstalt daher für gefährdet und beantragt das Schriftstück anzuhalten und zu den Akten zu nehmen. Der Antrag ist unbegründet.

Einem Gefangenen dürfen nach § 119 Abs. 3 StPO nur solche Beschränkungen auferlegt werden, die der Zweck der Untersuchungshaft oder die Ordnung der Anstalt erfordert. Gemäß Nr. 34 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 2 UVollz0 kann ein Schreiben angehalten werden, wenn es grobe Beleidigungen enthält und seine Weitergabe geeignet ist die Anstaltsordnung konkret zu gefährden (vgl. BVerfG NJW 1997, 185).,

Zweifellos enthält der Text der Postkarte in Verbindung mit der bildlichen Darstellung eine grobe Beleidigung (§ 105 StGB) des früheren Bundeskanzlers. Ein Schriftstück dieses Inhalts greift in den schutzwürdigen Kern der menschlichen Ehre ein (Art. l Abs. 1 GG). Schwerwiegende Beeinträchtigungen aber des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Betroffenen sind, wie hier, durch das Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) und, sofern das vorliegende Schriftstück überhaupt als Kunst im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG zu werten ist, durch die Freiheit künstlerischer Betätigung nicht gedeckt (vgl. BVerfG NJW 1995, 1015; BVerfGE 75, 369, 3S0).

Der Vorrang des Ehrschutzes gilt jedoch nur, wenn die ehrenrührige Äußerung gegenüber dem Betroffenen selbst oder Dritten getan wird und dort ihre herabsetzende Wirkung entfaltet. Daran fehlt es, wenn sie im Schutzbereich der Privatsphäre gemacht wird, die gegen Wahrnehmungen durch den Betroffenen oder Dritte abgeschirmt ist. Diese private Sphäre kann durch die Kontrollbefugnis des Richters, Staatsanwalts oder Vollzugsbeamten nicht in eine öffentliche Sphäre umgewandelt werden. vielmehr wirkt sich der Schutz des Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 GG) unabhängig davon, ob die Mitteilungen in die Haftanstalt eingehen oder ausgehen, dahin aus, daß der vertrauliche Charakter der Mitteilung trotz der staatlichen Überwachung gewahrt bleibt (vgl. BVerfG NJW 1995, 1015 f). So ist es hier. Zwischen dem Verfasser des Schriftstücks und den Angeschuldigten besteht offensichtlich ein Vertrauensverhältnis, im Rahmen dessen der Absender die beleidigende Mitteilung gemacht hat. Dritten ist das Schriftstück nicht ohne weiteres zugänglich, da der Angeschuldigte einer strengen Sicherheitsverfügung unterliegt und ihm daher beliebige Kontakte zu anderen Gefangenen ohnehin verwehrt sind. Daß der Schreiber mit der Äußerung daneben möglicherweise die Person, die die Briefkontrolle durchführt, provozieren wollte ist ohne Belang, denn dadurch wird die private Sphäre, in der sie gefallen ist, nicht zu einer öffentlichen.

Es sind auch im übrigen keine konkreten Anhaltspunkte ersichtlich, die eine reale Gefährdung der Anstaltsordnung (vgl. BVerfG NJW 1997, 185 f) begründen könnten. In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, daß Briefe mit gegen Richter, Staatsanwälte und Justizvollzugsbeamte gerichtete grobe Beleidigungen die Anstaltsordnung gefährden können, da diese zu Disziplinlosigkeiten und zu Konflikten zwischen den Gefangenen und dem Anstaltspersonal führen können (Vgl. Hilger in LK, stop 25. Aufl., §119 Rdn. 82 f m.N.). So liegen die Dinge hier aber nicht. Denn der bezeichnete Personenkreis ist nicht Gegenstand der ehrenrührigen Äußerung.

Berlin, den 13. Dezember 2000

Kammergericht, 1. Strafsenat

Die Vorsitzende

Hennig

Vorsitzende Richterin am Kammergericht

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