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Datum: 01/2000
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Zeitung:
interim Nr. 492
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Titel:
Der Verrat eines Märchenprinzen
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Der Verrat eines Märchenprinzen
Das ist die schlimmste Form von Verrat - an ehemaligen politischen
FreundInnen, an einer ganzen Szene, an der Utopie gesellschaftlicher
Veränderung.
Tarek Mousli, ehemaliger Aktivist der linksradikalen Szene Berlins,
sitzt seit Ende vergangenen Jahres im Knast und hat sich dort der Justiz
als Kronzeuge zur Verfügung gestellt. Wahrscheinlich für eine
neue Identität, für eine ganze Stange Geld und für eine
offenbar bereits lang ersehnte Loslösung von seiner politischen
Vergangenheit verrät Tarek alle und jeden, die er in seiner
Politkarriere kennengelernt hat oder kennengelernt zu haben meint. Dicke
Ordner füllt inzwischen, was Tarek an tatsächlichen und
erfundenen Details über Personen und politische Zusammenhänge den
Bullen ins Mikro plaudert.
Dabei ist Tarek offenbar nicht zimperlich. Teilweise revidiert er
bereits Gesagtes in späteren Vernehmungen, teilweise ergänzt er
und befördert Einzelpersonen in den Rang politischer Kader - oder
"Terroristlnnen".
Direkt nach seiner zweiten Verhaftung im November begann Tarek zu reden
und er hört noch lange nicht damit auf. Was sich die Bullen immer
ersehnt haben scheint sich zu erfüllen: Einer der redet, einer, der
ihnen die Zusammenhänge weit über den vermeintlichen RZ-Komplex
hinaus darlegt - und gewillt ist zu sagen, was sie hören wollen.
Dabei zeigt sich mehreres: Seine Aussagen sind willkürlich, er
kombiniert kreativ und auch wenn man/frau wenig oder sogar nichts mit ihm
zu tun hatte, könnte er oder sie im Strom seiner Aussagen
auftauchen.
Schon mit der letzten Ausgabe haben wir einiges zu den Entwicklungen
rund um den Verräter gebracht. Wir wollen es aber nicht bei dem einem
mal belassen. Denn die Aktivitäten für die Inhaftierten und zum
Umgang mit dem Komplex fangen erst ganz allmählich an.
Erfreulicherweise gibt es ja inzwischen Plakate und Aufkleber, die
Solidarität mit den GenosssInnen zeigen, die durch Tareks Verrat in
die Fänge der Justiz geraten sind. Die Aussage des Plakates, das wir
aufs Cover genommen haben, entspricht, wie ein ebenfalls abgedrucktes
Interview zeigt, nicht der Meinung aller. Wir haben uns trotzdem dafür
entschieden, weil wir finden, daß der Repressionsschlag nicht dazu
führen soll, daß wir die RZ nicht mehr als Teil unserer
linksradikalen Geschichte begreifen.
Es existiert in der Solidaritätsarbeit eine Tendenz, die am
liebsten den Komplex RZ außen vor lassen würde und nur an den
Personen Harald und Axel und deren antirassistischen politischen
Aktivitäten ansetzen will. Wir halten dies für verkürzt: Die
Bullen sind nicht mit der GSG9 angerückt, um antirassistische
Grenzarbeit zu kriminalisieren. Es geht hier um eine Option militanten
Widerstands, die die Linke der BRD der 70er und 80er Jahre stark
geprägt hat - um die Revolutionären Zellen eben. Wir fänden
es falsch, jetzt nur über Haftbedingungen und den Mehringhof zu reden.
Dabei sollten wir allerdings nicht den Fehler machen, uns die Vorwürfe
der Bullen zu eigen zu machen. Für uns ist es selbstverständlich,
sich prinzipiell mit all denen zu solidarisieren, die vom Staat
kriminalisiert werden. Das umfasst nicht nur Harald und Axel, sondern auch
Sabine, Rudolf und die beiden unlängst in Frankreich festgenommenen.
Über den Sinn und Unsinn einzelner Aktionen zu diskutieren, ist eine
andere Sache, die inhaltlich wichtig ist - mit der aber unsere
Solidarität nicht steht oder fällt.
Jenseits der eingeknasteten GenossInnen aber geht es den Bullen darum,
die noch existierenden Strukturen zu zerschlagen. Und deshalb müssen
wir uns mit der Geschichte auseinandersetzen. Mit unseren Strukturen, warum
es sein kann, daß einer wie Tarek so lange so viel macht und dann so
umkippt, und mit der Politik der RZ.
Gerade die Aktionen gegen rassistische Hetze und rassistisches
Staatshandeln haben das Bewußtsein in der linksradikalen Szene
darüber befördert, wo der Rassismus sich austobt und daß
die radikale Linke hier handeln muß. Für einen Fehler halten wir
auch die Verkürzung der RZ auf den Antirassismus, wie es derzeit gerne
getan wird. Die Aktionen zum Schwarzfahren, zur Startbahn, Anti-AKW,
Obdachlosen und Gentechnologie hat die Szene meist mit viel Freude
aufgenommen (wie auch die Bastelanleitungen) und die Aktionen haben
weitergehende Diskussionen ausgelöst - es war ein prinzipieller
Widerstand gegen diese Gesellschaft.
Schon immer gab es Kritik, teils an den politischen Inhalten der RZ,
teils an den Strukturen, den Instrumenten ihrer Umsetzung. Solidarität
mit GenossInnen in den Händen der Justiz sollte jedoch nicht daran
scheitern, dass wir an vielen Punkten unterschiedlicher Auffassung waren
und sind. Wer, welche sich mit der Geschichte der RZ auseinandersetzen
will, sollte sich nicht durch vermeintliche Mythen abschrecken lassen.
Eine Auseinandersetzung darüber, was wir aus der Praxis und was wir
aus den Fehlern der RZ gelernt haben, darüber, wie linksradikaler
Kampf 'heute weitergeht, würden wir uns wünschen. Leider
scheint Ratlosigkeit die Stimmung zu kennzeichnen. Niemand weiß,
welche Personen und welche Strukturen es noch treffen wird. Und
Diskussionen darüber, wie tragfähig Strukturen sind, die unter
Verfolgungsdruck stehen, darüber, welche Mittel im Kampf gegen die
herrschenden Zustände die richtigen sind, können wir kaum
entdecken.
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