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Diskussion

Datum: 2/2000

Zeitung:
offlimits

Titel:
Zu den Verhaftungen unserer FreundInnen und der Razzia im MehringHof

"Wo Gefahr ist, ..."

"...da wächst das Rettende auch", ist ein Ausspruch Hölderlins und man kann nur hoffen, dass er sich bewahrheitet. Denn Gefahren sind aufgetaucht in Berlins linker Szene, um die es im letzten Jahrzehnt bis zur Unsichtbarkeit ruhig geworden war. Für den Aufruhr sorgt eine amokermittelnde Bundesanwaltschaft (BAW), die sich auf der heiß ersehnten Spur vermeintlicher Mitglieder der einstigen "Revolutionären Zellen" bzw. der "Roten Zora" wähnt. Und mit solchen "Terroristen" läßt sich ja trefflich Politik machen. Ein Kronzeuge soll dem Staatsschutz gesteckt haben, das nicht nur nämliche Revolutionäre in Berlin, sondern nennenswerte Mengen von Sprengstoff sich im linken Kulturzentrum MehringHof in Berlin- Kreuzberg finden lassen würden.

Medientauglich inszenierte die Bundesanwaltschaft sodann ihren letzten Coup des vergangenen Jahrtausends. Mit ebensovielen BeamtInnen wie letzteres Jahre hatte ließen die Herren aus Karlsruhe und Meckenheim den MehringHof stürmen und das Sprengstoff- und Waffendepot suchen, welches den erwähnten Angaben des zum Kronzeugen gewendeten einstigen Kampfsportlehrers Tarek M., bei dem - so die vollends zum Revolverblatt gewendete "taz" - viele Autonome ihre "Grundausbildung" absolviert hätten, sich nahe irgendwelcher Treppenhäuser, Aufzug- oder Heizungsschächte befinden oder befunden haben soll. Für die BAW Grund genug, nicht nur alles an Spezialeinheiten aus dem Hut zu zaubern, was die polizeiliche Mottenkiste der 70er und 80er Jahre zu bieten hatte, u.a. GSG 9 und SEKs, sondern auch unter dem hysterischen Vorwand einer Explosionsgefahr jede Menge Schlösser aufzubrechen und so einen Schaden von über 100 000 Mark anzurichten, obwohl im Laufe jenes frühen Morgens immer mehr MehringHoflerInnen eintrudelten, welche zu den Räumen Schlüssel und Generaler gehabt hätten. Zu vermuten jedoch, dass gefährliche Leute gefährliche Stoffe ausgerechnet im MehringHof deponieren würden und dann auch noch so, dass diese in die Luft fliegen könnten, läßt die Fadenscheinigkeit des Vorgehens der BAW nur allzu deutlich erkennen. Ein Trupp von 20 Spezialisten mit ihren süchtig abgerichteten Hunden hätten dasselbe Ergebnis vermutlich schneller erzielt als die maskierten Supercops, die sich im MehringHof auf die Füße traten.

Freilich hätte ein derart diskretes Vorgehen nicht den gewünschten Nebeneffekt gehabt, dass man sich einer vor Millennium-Attentaten zitternden Öffentlichkeit andienen konnte und das Gespenst des "Terrorismus" ein weiteres Mal dort verorten konnte, wo man es haben will: links. Doch das Ergebnis der Erstürmung ist ebenso eindeutig wie für die BAW blamabel. Von dem in den mit Brachialgewalt aufgerammten Räumen und zahlreichen aufgestemmten Hohlräumen im ganzen Haus vermuteten Explosivstoffen fand sich nicht ein Krümel unter dem Fingernagel. Mit dieser vernichtenden Bilanz wird nicht nur der Irrwitz der Aktion offenbar, sondern auch die Glaubwürdigkeit des vermutlich letzten Kronzeugen auf Gesetzesgrundlage der BRD-Geschichte schwer erschüttert. Doch halt: Die MehringHof-Schlappe war ja nur der eine Teil der Staatsschutz-Aktion. Zeitgleich wurden nämlich die beiden MehringHof-Mitarbeiter Axel H. und Harald G. von SEK-Rollkommandos aus den Betten gezerrt und abtransportiert sowie Sabine E. in Frankfurt / Main verhaftet. Der MehringHof-Hausmeister Axel, der nach Anschuldigungen des Kronzeugen eben jenes Sprengstoff-Depot im MehringHof "betreut" haben soll (Wer sonst als der Hausmeister sollte diese Aufgabe auch übernehmen!) und der Mitarbeiter der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration (FFM), Harald G., der angeblich an Anschlägen der sogenannten "Flüchtlingskampagne" der Revolutionären Zellen / Rote Zora 1987 beteiligt gewesen sein soll, sitzen seither in der JVA Wuppertal bzw. Düsseldorf in Untersuchungshaft. Nebenbei wurden noch etliche in die Morgenstunden feiernde Partygäste unter skandalösen Umständen über Stunden festgehalten und vier von ihnen in Abschiebehaft genommen. Zwei von ihnen wurden inzwischen nach Weißrußland und Bolivien abgeschoben, die beiden anderen auf freien Fuß gesetzt. Das Thema BRD-Flüchtlingspolitik zieht sich also auch wie ein roter Faden durch diese Tragikomödie.

Das Sondieren der Lage

In der Stadt hat sich ein Komitee gebildet, das von sich sagt, uns zu unterstützen, indem es Geld für uns sammelt, Anwälte organisiert und Veranstaltungen zu unserem Fall macht, sogar in anderen Städten, und so treffen sich jede Woche bis zu vierzig Leute dicht gedrängt um einen Tisch, die Körper gebeugt oder betont entspannt nach hinten gelehnt, Rauch in der Luft, andächtiges Reden durch die blauen Kringel hindurch, Abschnippen der Zigaretten am Aschenbecher, Reiben der Glut am Glas und ernste Blicke.(...) So sitzt sie da und hört, wie jemand Unterstützung für die Verfolgten zu organisieren sagt oder das wird sich noch klären oder man wird abwarten müssen, was die Angeklagten dazu zu sagen haben,...(...) Die Runde, die sich als Solidaritätsgruppe bezeichnet, besteht aus Leuten, die sich zum Teil nur flüchtig kennen, zum anderen auf den Tod nicht ausstehen können, sich aber trotzdem ziemlich ähnlich sehen. (...)...aber das ist nicht was ich meine, sondern der Ausdruck im Gesicht, die Haltung, sich gegenseitig zu belauern und darauf zu warten, daß jemand etwas sagt, was man korrigieren oder wozu man konspirativ den Kopf schütteln könnte. Eine seltsame Anspannung, dicke Luft wie Salami, zum Durchschneiden, und sicherlich fragt sich Anna, unsere inzwischen rothaarige Freundin, warum sie jede Woche wieder um die gleiche Zeit erscheint, für ihre Verhältnisse sehr pünktlich , um zuzuhören, wie verschiedene Leute sich gegenseitig erzählen, daß alles unglaublich schwierig ist, 150.000 DM Anwalts- und Gerichtskosten bezahlt werden müssen, man jetzt nichts Voreiliges unternehmen darf, sich an dieser Geschichte ganz viel entscheiden wird, überhaupt strategisch und so fort. (aus Raul Zelik: Friß und stirb trotzdem, Hamburg 1997, S. 66f)

Nach dem ersten Schreck stellte sich erstmal eine ziemlich lastende Rat- und Sprachlosigkeit ein, denn man hatte es hier mit der Rückkehr einer Zeit zu tun, welche allen längst als überwunden gegolten hatte. Auch faktisch bezog sich die Staatsschutz-Aktion auf Anschläge, die über 10 Jahre zurück lagen. Wer war der Bundesrichter Günther Korbmacher, wer Harald Hollenberg, wo stand die Zentrale Sozialhilestelle für Asylbewerber, was war da passiert? Eine Vollversammlung im MehringHof und zahllose Soli-Plena und AG-Treffen folgten, auf welchen Leute, die sich gar nicht oder kaum kannten zusammen kamen, alle gewarnt, wie schrecklich sich mitunter solche Gefangenensolidarität gestalten kann, und entsprechend mißtrauisch und auf der Hut. Was war hier geschehen, welches Ziel verfolgte die BAW mit dem ganzen Zauber und wie sollte man sich selbst verhalten, welche Maßnahmen ergreifen, was unterlassen, was tun. Überall wurde das Zischen mit vor den gespitzten Mund gehaltenen Zeigefinger vernehmbar, welches jedoch kaum ankam gegen das Murmeln, Raunen und laute Herausprusten aller möglichen und unmöglichen Gerüchte, Parolen und Geschichten aus vergangenen Zeiten. Dem Anachronismus der "Anti-Terror"- Paranoia des Staatsschutzes gesellte sich der Anachronismus einiger Solidarischer hinzu, sich bruchlos auf die RZ beziehen zu wollen, die Gefangenen für sich und einen militanten Kitzel zu vereinnahmen und romantisierender Legendenbildung Vorschub zu leisten. Denn wovon Anna und Artur das Herz, die "revolutionäre Zelle", voll ist, geht ihnen der Mund über: auf demselben Plakat, auf dem Anna und Artur dazu angehalten werden, ihr Maul zu halten, wird den Verhafteten "bei allen Differenzen" eben jener "Widerstand" zugeschrieben, dessen sie die BAW beschuldigt.

Na denn, Prost! Besonders bizarr nahm sich dabei das Gerücht aus, der Kronzeuge habe eine Liste mit den Namen weiterer 50 Verdächtiger vorgelegt, welches als vage Vermutung den Weg aus der MehringHof-VV in die Faktizität eines widerlichen Focus-Artikel nahm, als Zitat schließlich der Sprecherin der BAW, Eva Schübel, zugeschrieben wurde, welche auf Nachfrage, dies geäußert zu haben von sich wies. Einziger wirklicher Erfolg der BAW-Aktion war, dass eine zweibändige Dokumentation zur RZ-Geschichte "Früchte des Zorns" (aus dem übrigens ebenfalls im MehringHof beheimateten ID-Verlag), welche schon zum Ladenhüter zu werden drohte, sich ungeahnter neuer Nachfrage erfreut. Denn nach dem Stochern im Nebel über die Frage, was der Staat mit seiner völlig überzogenen Aktion bezweckte und ob er dezidiert oder nur als Konsequenz auch die deutsche FlüchtlingsunterstützerInnen-Szene treffen wollte, folgte...

Das Wägen der Worte

Unser Zustand zählt genausoviel wie die Sicherheit, denn was nützt es uns, draußen zu sein, wenn wir uns wie tote Waschlappen fühlen, nutzlos allein. (ebenda, S. 129)

Zu einer gemeinsamen Stellungnahme können sich - auch vier Wochen nach den Verhaftungen - kaum zwei Personen aus dem entstehenden Soli-Umfeld entschließen. Zwischen allzu unreflektiertem Bezug auf die vorgeworfenen Taten - die Knieschüsse auf Korbmacher und Ex-Ausländerbehördenleiter Hollenberg sowie den Anschlag auf die ZSA - und die RZ-Politik allgemein und einer kompletten Distanzierung von RZ, Gewalt und einer Geschichte der Militanz sind alle Formen von Einstellungen vertreten oder denkbar. Und selbst eine historisierende Annäherung an was einfach unleugbar Teil einer Geschichte auch bewaffneter Aktionen gegen die herrschende Ordnung war, ist nur schwer ohne emotionale Verwerfungen möglich. Wo die einen den RZ eine Rolle als Avantgarde der gegen die bundesrepublikanische Flüchtlingsabwehr gerichteten Bewegung zuschreiben, betonen andere, die in jenen Jahren "legal" zur Asyl- und Flüchtlingsproblematik arbeiteten (etwa im Rahmen der "Aktion Zuflucht" in Berlin), dass sie sich weder um RZ-Aktionen gekümmert, noch sich auf sie bezogen oder auch nur irgendetwas an ihnen gefunden hätten. Zwar will niemand recht über den Sinn und Unsinn von Knieschüssen diskutieren, dass sie schon damals "in der Szene" heftig umstritten waren, wird jedoch allenthalben betont. Wieder andere warnen davor in Zeiten der Repression sich zur Geschichtsschreibung (für andere) hinreißen zu lassen. Was dabei heraus kommt ist relativ hilfloses und manchmal auch peinliches Rumdrucksen. Diese zusammengekniffenen Arschbacken sind ebenfalls gewolltes oder zufälliges Ergebnis der gegen den MehringHof und unsere FreundInnen gerichteten Aktion der BAW. Dabei ist es auch nicht wirklich wichtig, ob es in der Intention der Repression lag, auch die Flüchtlings-UnterstützerInnen-Szene in Berlin zu treffen: Erreicht hat sie, dass diese wie gelähmt ist und zumindest die FFM, Haralds Projekt, unter der Mehrbelastung durch die Soliarbeit strauchelt und kaum das Vakuum zu füllen in der Lage ist, das Harald hier hinterlassen hat. Dabei gibt es Beispiele genug, die es geraten scheinen lassen, sich etwas zu entspannen und sich vor allem nicht den Mund verbieten zu lassen oder dem vermeindlichen oder tatsächlichen Repressionsdruck durch selbst verordnetes Schweigen zuvor zu kommen.

Der Kampf um die Geschichte

Bleibt also nur der persönliche Zugang: Der Autor zum Beispiel hat sich in den Jahren, um die es hier geht, nicht um "militante Aktionen" in der BRD gekümmert, waren ihm diese doch eher suspekt und stocherte er doch in anderen Tränengasschwaden und war davon absorbiert, der offene Blick getrübt. Freilich war es oft "mehr als nur klammheimliche Freude", die er und sein damaliges Umfeld nach etlichen trefflichen Aktionen empfanden, zumal wenn sie im Bereich der Sachbeschädigung blieben. In der gegenwärtigen Situation und Sprachlosigkeit ist aber, zumal bei den Jüngeren, ein sehr starkes Bedürfnis nach Diskussion und Vermittlung von Geschichte und Geschehen in allen Fluren zu spüren. Und es ist aufschlußreich für solche ZeitgenossInnen, nun zur Lektüre der Erklärungen und entsprechender Hintergrundliteratur zu schreiten. Auf einmal geht die Erinnerung auf an Kemal Cemal Altun, an die Skandal-Urteile zu Abschiebungen in Folterstaaten eben jenes Bundesgerichtshofes (BGH), an welchem Richter Korbmacher "wirkte", die Erinnerung an den Brand im Polizeigewahrsam am Augustaplatz in Berlin unter der Ägide des Ausländerbehörden-Chefs Harald Hollenberg, bei welchem sechs Abschiebehäftlinge in einer überfüllten Zelle qualvoll verbrannten, an das sogenannte Berliner Loch, durch das viele Flüchtlinge und MigrantInnen den Weg nach West-Europa fanden und welches die BRD mit allen Mitteln zu schließen trachtete, und an die entstehenden Instrumente der Flüchtlingsabwehr, die uns heute noch in perfektionierter Weise geläufig sind, wie etwa das Ausländer- Zentral- Register (AZR).

Es gibt also keinen Zweifel, dass die RZ mit ihren Aktionen - ob nun als Avantgarde oder als "bewaffneter Arm" einer beginnenden Flüchtlingsbewegung oder auch völlig losgelöst - Themen aufgegriffen haben, die auch heute noch Relevanz haben und von welchen sich von damals bis heute durchaus, wenn auch nicht bruchlos Entwicklungsstränge und Kontinuitäten heraus arbeiten lassen. Dabei kommt es im übrigen überhaupt nicht darauf an, wie man sich zu militanten Aktionen oder solchen gegen Personen stellt. Einige Zitate aus den Erklärungen zu den Anschlägen, von denen im Zusammenhang mit den Verhaftungen die Rede ist, lassen sich in verblüffender Weise in den Kontext der aktuellen deutsch-europäischen, inzwischen globalisierten Politik der Flüchtlingsabwehr und Migrationsverhinderung setzen. Es erweist sich nämlich, dass jenseits eines bestimmten Antiimp-Jargons und der Klassenkampfrhetorik diese Analysen einer rassistischen Politik der Ausgrenzung durchaus stimmig waren. In der Erklärung zum Anschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA) vom Februar 1987 heißt es zum Beispiel zur Lebenssituation von AsylbewerberInnen in Berlin und andernorts: "Der auf niedrigstem Niveau eingeengte Lebensstandard und die Mißachtung elementarer Hilfeleistungen (...) ist nicht der Gipfel der Willkür, sondern die Methode eines logisch funktionierenden, rassistischen Verwaltungsapparates."

Und heute: Die Zwangsunterbringung in Sammelunterkünften, die Ausstattung mit einem um mindestens 30 Prozent reduzierten Sozialhilfesatz von Sachleistungen ausgegeben wird, die zumindest im Rahmen der Essensversorgung qualitativ der letzte, billigste Dreck und ekelerregend sind und an den Bedürfnissen der EmpfängerInnen, zumal von Familien, haarscharf vorbeigehen, sei hier hervor gehoben. Aber vor allem Arbeits- und Bildungsverbote, rassistische Schikane in den Behörden, eine gesundheitliche Mangelversorgung und die örtliche Fixierung der Menschen über die Residenzpflicht sind nur einige Facetten eines Systems, das immer weiter im Sinne eines Hinausekelns von nicht erwünschten Menschen verfeinert wird. Zurückgeworfen auf die lächerlichen 80 Mark Taschengeld pro Monat, die häufig, vor allem in Sammellagern wie z.B. Eisenhüttenstadt, nicht einmal für einen Anwaltbesuch mit Bahn oder Straßenbahn reichen, sehen sich viele Asylbewerber, Geduldete und Bürgerkriegsflüchtlinge dazu veranlaßt, heimlich zu arbeiten oder in Supermärkten sich das nötigste zu organisieren. Über Razzien, massive polizeiliche Kontrollen und die mediale rassistische Begleitmusik dazu erreicht es diese Methode, sich die Begründungen für ihre Verschärfung über Kampfbegriffe wie "Ausländerkriminalität" selbst zu liefern. Damals wie heute ist die Einschätzung richtig, dass Wohlfahrtsverbände wie das DRK sich "an den Lagern eine goldene Nase" verdienen. Das DRK macht sich zu einem willfährigen Handlanger einer gegen Flüchtlinge und MigrantInnen gerichteten Politik und war in diesen Wochen wieder Ziel massiver Proteste gegen das rassistische System des Asylbewerberleistungsgesetzes und die krude Rauswurf-Politik in Berlin, welche bisher Hunderte in die Obdachlosigkeit trieb. Dass es sich hierbei nicht nur um "die eiskalte Logik gnadenloser Abschiebepolitiker" handelt, sondern auch um ein westeuropäisches System von Ein- und Ausgrenzung zeichnete sich bereits 1987 ab: "Die politischen, rassistischen Prämissen, unter denen die Behörde agiert, stehen in direktem Interesse der europäischen Verbündeten: systematische Abschottung gegenüber den weltweiten Migrantenbewegungen durch Schließung der Grenzen (...) durch Kanalisierung und Konzentration der Flüchtlinge in Sammellager."

Die inzwischen in diesem Sinne handelnde EU ist dabei, dieses Konzept zu erweitern und nicht nur auf Osteuropa und die Transitstaaten, sondern auch - über die auf dem EU-Sondergipfel im Oktober 1999 in finnischen Tampere verabschiedeten "Aktionspläne"- weltweit bis in die "Flüchtlinge produzierenden" Kriegs-, Bürgerkriegs-, Krisen- und Elendsgebiete auszudehnen. In diesen entstehenden europäischen "Hinterhöfen" und EU-Einflusssphären wird die EU auch bereit sein mit militärischen Mitteln einzugreifen, um eine Regionalisierung von Flucht und Migration zu erzwingen und Menschen auf der Flucht in geschlossene Sammellager umzuleiten und festzuhalten. Das Attentat auf den rabiaten Bundesrichter Günther Korbmacher wird im Bekennerschreiben mit dessen skandalösen Urteilen zu asylsuchenden KurdInnen reflektiert. Korbmacher hat damit den Weg geebnet für eine inzwischen durchgesetzte rigide Asylverhinderungsjudikatur, welche kaum noch Möglichkeiten einer Inanspruchnahme des Rechtes auf Asyl gemäß Grundgesetzartikel 16 zuließ und -läßt. Die Quasi-Abschaffung dieses Rechts 1993 war im Grunde nur noch die legislative Absicherung dieser Asylverweigerung. Korbmacher hatte in Urteilen Mitte der 80er Jahre die Parole ausgegeben, dass Folter und Völkermord, die der 'Abwehr von Umsturzversuchen oder Gebietsabtrennungen dienen' (...) keine politische Verfolgung, sondern notwendig [seien], 'denn der Staat selbst, sein Gebietsbestand und seine Grundordnung sind Schutzgüter' (Erklärung zu Korbmacher 9/87 mit Zitaten aus seinen Urteilen zu KurdInnen und TamilInnen). In der Öffentlichkeit setzte er sich vehement für eine Änderung des Grundrechts auf Asyl ein. Die RZ bezeichnete ihn deshalb als furchtbaren Juristen . Dort heißt es weiter: . "Das Asylrecht ist seinem Wesen nach eben nicht als einklagbares Individualrecht konzipiert worden - vielmehr ist es von vornherein allen opportunen staatlichen Auslegungen und imperialistischen Dispositionen geöffnet worden und daher in seinem Kern ein Staatsschutzrecht. Folglich geht es heute nicht um seine Aushöhlung, sondern um seine Modernisierung zu einem paßgenauen Instrument imperialer Flüchtlingspolitik." Das hat sich auch 13 Jahre danach unter den "rotgrünen" Ministern Schily und Fischer und ihren Büchsenspannern in Verwaltung und Justiz nicht geändert. Auch heute gehört die Abschiebemaschinerie Deutschlands und der in der EU verbündeten Nachbarn zu den am besten funktionierenden Bestandteilen der "Festung Europa". Wo der Zutritt nicht verhindert werden konnte, ist der Rausschmiss sicher: dafür geht man in Europa auch über Leichen. [hier wurden die aktuellen Zahlen eingearbeitet, die zu Redaktionsschluß der offlimits noch nicht vorlagen, Anm.d.Webmasters]

Die Antirassistischen Initiative Berlin (ARI) hat mit der FFM die Opfer des deutschen Genzregimes und der Ausländerpolitik gezählt" und ihre Tode dokumentiert: an allen deutschen Grenzen starben seit der Grundgesetzänderung 1993 113 Menschen beim Versuch, heimlich einzureisen, 67 Menschen allein an den Ostgrenzen; 267 Flüchtlinge erlitten bei dem Versuch, heimlich einzureisen, Verletzungen, 141 allein an den deutschen EU-Außengrenzen; 78 Abschiebehäftlinge begingen angesichts der drohenden Abschiebung Selbstmord oder starben bei dem Versuch, sich der Abschiebung zu entziehen; mindestens 185 wurden bei einem Selbstmordversuch schwer verletzt; 5 Menschen starben während ihrer Abschiebung aufgrund von Mißhandlungen durch deutsche Beamte, 97 Abgeschobene wurden verletzt; 9 Personen wurden nach der Abschiebung im Heimatland ermordet, mindestens 239 wurden von Militärangehörigen oder Polizeibeamten im Herkunftsland verhaftet, mißhandelt oder gar gefoltert, 33 der Abgeschobenen verschwanden spurlos; 9 Flüchtlinge stasrben durch Polizeigewalt, 97 wurden dabei veerletzt, 52 Menschen starben bei Bränden in Flüchtlingsunterkünften, 458 wurden dabei zum Teil erheblich verletzt. Und bei dieser Aufzählung handelt es sich nur um jene Fälle, die bekannt wurden, also in irgendeinem Medium erwähnt wurden. Die tatsächlichen Zahlen dürften um vieles höher liegen. Europaweit sind im übrigen über 1700 Tote(Stand Januar 2000) entlang der EU-Außengrenzen zu beklagen, ein Großteil derer beim Versuch, das Mittelmeer zu durchqueren, ertranken. In ihrer nicht unwidersprochen gebliebenen Erklärung "Das Ende unserer Politik" von Januar 1992 schließlich heißt es: "Inzwischen kann die Linke bzw. das, was von ihr übrig ist, durch die unaufhörliche Verschärfung der Flüchtlings- und Ausländerpolitik und die neuerlichen rassistischen Übergriffe die bedrohliche Situation von Flüchtlingen in der BRD nicht weiter verdrängen. Sie hat sich der Notwendigkeit gestellt, zumindest ein Bleiberecht zu verteidigen." Von bewaffneten Aktionen kann seither nicht mehr die Rede sein und solche stehen angesichts der nicht nur personellen sondern auch theoretischen Krise linksradikaler Praxis gar nicht zur Debatte. Im Moment gibt es keine kluge Alternative zur entschlossenen Vernetzung und Schaffung unabhängiger Strukturen antirassistischer Arbeit. Teil dieser Strukturen sind auch Harald und Axel. Wir würden für sie die Hände ins Feuer legen und wollen, dass sie so schnell wie möglich wieder frei und bei uns sind.

Fritz Burschel / Forschungsgesellschaft Flucht und Migration

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