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Diskussion

Datum: 03/2000

Zeitung:
megafon / Bern

Titel:
Verhaftungen wegen RZ/ Rote Zora in Deutschland

Verhaftungen wegen RZ/ Rote Zora in Deutschland

Die Einschätzung, dass es sich bei der Razzia vom 19.12.1999 gegen den Mehringhof in Berlin-Kreuzberg vorab um einen Schlag gegen die dort ansässigen Projekte gehandelt hätte, hat sich in der Zwischenzeit als falsch herausgestellt. Im Zentrum der Bullenaktion stand ganz klar die Jagd auf vermeintliche Mitglieder der Revolutionären Zellen (RZ) und der Roten Zora, wie weitere zwei Verhaftungen gezeigt haben.

Aller Anfang war Verrat

Alle Verhaftungen wie auch die Durchsuchung des Mehringhofs gehen zurück auf Aussagen von Hans-Joachim Klein und Tarek Mousli, die sich beide der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe als Kronzeugen zur Verfügung gestellt hatten, bevor diese am 31.12.1999 auslief. Indem sie Leute der Justiz ausliefern, bekommen sie vom deutschen Staat Strafmilderung, Geld und eine neue Identität. Ganz grob kann festgehalten werden, dass die beiden einen grossen Teil der Geschichte der RZ abdecken. Der Frankfurter Klein war Mitte der 70er Jahre Mitglied der RZ und an der Aktion Ende Dezember 1975 gegen die OPEC-Ministerkonferenz in Wien beteiligt, bei der er durch Querschläger schwer verletzt wurde. Er selber, das Kommando und die Geiseln wurden nach Algerien ausgeflogen, wo er nach seiner Genesung den Entschluss fasste aus der Guerilla "auszusteigen", unfähig -auch berechtigte- Kritik von Denunziation und Verrat zu unterscheiden. Für den "Pfau, der das Radschlagen übt" (RZ, 1977) war es unvorstellbar, irgendwo unauffällig wieder seinen Alltag zu leben, wie andere Leute vor ihm. So setzte er sich mit Hilfe der Frankfurter Spontiszene mediengerecht ins Scheinwerferlicht mit Aussagen über angebliche geplante Aktionen der RZ. Schon damals schrieben die RZ von ersten Signalen, "auch für die Bullen, dass er zum Deal bereit ist, wenn er's nicht mehr aushält oder wenn sie ihn erwischen". Erwischt wurde Klein dann allerdings erst 1998 vor den Bundestagswahlen. Eine CDU-Aktion zur Diskreditierung der Grünen (Ex-Spontis um Fischer und Cohn-Bendit) als "Terrorismushelfer", die aber den Wahlsieg von SPD und Grünen auch nicht verhindern konnte. Letztere nun aber um so eifriger darauf aus, mit den alten Geschichten endlich aufzuräumen. Klein redete monatelang mit der BAW. Die Verhaftung von Rudolf Schindler am 13.11.1999 in Frankfurt geht ebenso auf Aussagen von Klein zurück wie diejenigen von Christian Gauger und Sonja Suder Mitte Januar in Frankreich.1

Aussagen von Tarek Mousli

Betreffen die Aussagen von Klein die klandestinen Strukturen der RZ der 70er Jahre, redete Tarek M. ausgiebig über vermeintliche Strukturen und Mitglieder der RZ der 80er und frühen 90er. Die Razzia und die Verhaftungen vom 19.12. gehen einzig und allein auf Tareks Aussagen zurück, wie im Durchsuchungsbefehl der Bundesanwaltschaft für den Mehringhof zu lesen ist (www.freilassung.de). Tarek M. wurde bereits am 19.Mai 1999 wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung (§129a) verhaftet, weil er Mieter eines Kellers ist, in dem im April 1995 Sprengstoff und Sprengschnur gefunden wurde, den RZ's bei Aktionen verwendet haben sollen. Darüber hinaus soll ihn auch eine Lebensgefährtin aus Mitte der 90er Jahre wegen des Kellers belasten. An einer politischen Unterstützung hatte Tarek kein Interesse ("keine Politik"). De fakto behandelt er die Angelegenheit als Privatsache. Weder über seinen Anwalt noch sonstwie war zu erfahren, worauf die vorwürfe gegen Tarek nun genau beruhen. Am 7. Juli 1999 wurde Tarek gegen Auflagen aus der U-Haft entlassen. Zuvor hatte er eine begrenzte Einlassung zu den Vorwürfen gemacht. Am 23.11.1999 wurde Tarek erneut verhaftet, unter dem Vorwurf "Rädelsführer der Berliner RZ" gewesen zu sein. Vorgeworfen werden ihm die Beinschüsse 1986 und 1987 gegen den damaligen Leiter der Berliner Ausländerbehörde, Harald Hollenberg, und gegen den damaligen Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht, Korbmacher. Zudem soll er an der Aktion gegen die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber beteiligt gewesen sein, unmittelbaren Zugang zum damaligen Waffendepot der RZ in Berlin gehabt haben und massgeblich in die Strategiediskussion Anfang 90er eingebunden gewesen sein. Der Anwalt von Tarek erhielt von Tarek weiterhin keine Genehmigung, Auskünfte zu erteilen, auf welchen Konstrukten oder Aussagen von einer weiteren Person die Vorwürfe beruhen. Gerüchten zufolge sollen die Vorwürfe auf Aussagen seiner früheren Lebensgefährtin beruhen, die der Polizei in einem weiteren Verhör ihr gesamtes (vermeintliches) Wissen preisgegeben haben soll. Ihr gegenüber soll Tarek 1995 mit seiner angeblichen Vergangenheit geprahlt haben. Am 14.12. legte der Anwalt von Tarek sein Mandat nieder. Spätestens ab diesem Zeitpunkt hätte klar sein müssen, dass Tarek nun Sachen macht, die selbst sein mit ihm seit Jahrzehnten befreundeter Anwalt nicht mittragen kann. Doch diese Information wurde nicht offensiv bekanntgemacht. Spätestens an diesem Tag hatte Tarek begonnen, Aussagen zu machen, denn die Haftbefehle gegen Axel, Harald, Sabine und Rudolf sind mit diesem Tag datiert. Genauso die Durchsuchungsbefehle für den Mehringhof. Am 27.12. erschien im Nachrichtenmagazin "Focus" ein Artikel, der von einer Liste mit 50 Namen von Anhängern der RZ spricht. Unklar ist die juristische Relevanz der Vorwürfe wegen den Verjährungsfristen. So versucht beispielsweise die BAW, die tödlich ausgegangenen Beinschüsse auf den hessischen Wirtschaftsminister Karry 1980, im Zusammenhang der Startbahn-Aktionen, nicht als verjährte "Körperverletzung mit Todesfolge" sondern als "Mord" zu verfolgen. Mord verjährt nie. Tarek soll weiterhin Aussagen machen und Unstimmigkeiten bereitwillig korrigieren2.

Solidarität mit den Verhafteten

In Berlin kam es drei Tage nach der Razzia und den Verhaftungen zu einer Demonstration mit 250 TeilnehmerInnen. Am 15. Januar wurde von 100 bis 150 Leuten vor den Knästen in Düsseldorf und Wuppertal gegen die Inhaftierung von Harald und Axel protestiert. Soweit das von hier aus zu beurteilen ist, konzentriert sich die Soliarbeit vor allem auf Berlin, wo Axel und Harald herkommen. Axel war Teil des ersten Kneipenkollektivs im Mehringhof, das mit den Ueberschüssen Projekte in Nicaragua finanziert hatte. Zudem war er in einem Initiativkreis gegen den Schlussstrich, das sich gegen die Abwicklung der deutschen Vergangenheit zur Wehr setzt. Harald ist Mitarbeiter der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration (FFM), die im Mehringhof beheimatet ist. In einem Interview mit der linken Zeitung ak3 umreisst ein Mitarbeiter von FFM die Ideen für eine Solidaritätskampagne: Ihr Ziel ist ein möglichst breites Bündnis bis in liberale und kirchlich-karitative Kreise, mit denen vor allem Harald mit seiner Flüchtlingsarbeit regen Kontakt hatte. Inhaltlich soll das politische Engagement der Verhafteten im Mittelpunkt des Versuchs stehen, Unterstützung zu organisieren. Ebenfalls will sich niemand vorschreiben lassen, was sie in den nächsten Monaten zu diskutieren haben, wie zum Beispiel die Diskussion über Theorie und Praxis der RZ/ Rote Zora, welche die Bundesanwaltschaft nicht abgewürgt sondern in einem grösseren Rahmen erst lanciert hat. Seien doch die "Früchte des Zorns"4 von einem verstaubten Ladenhüter zu einem Verkaufsrenner avanciert. Dass nicht nur über militante Politik gelesen wird sondern auch praktisch gehandelt wird, zeigte die Aktion einer "militanten Zelle" in Berlin, die vor kurzem einen Brandanschlag auf die Bundesgrenzschutzinspektion verübte und sich dabei äusserst explizit auf die Flüchtlingskampagne der RZ von Mitte 80er bis frühe 90er bezog.

Die Gefangenen, Soligruppen, Angehörige und FreundInnen sind auf Spenden angewiesen, wer sein Konto erleichtern möchte, möge dies tun und das Geld an FFM überweisen (Kontoinhaber: FFM, Berliner Sparkasse BLZ 100 500 00, Kontonummer 610007190, Stichwort Freilassung). Am Freitag, dem 24. März gibt es im Provitreff (Sihlquai 240) in Zürich eine Soliveranstaltung mit Essen, Infos, Disco ab 19 Uhr. Die Vorbereitungsgruppe kann unter "Freilassung", c/o Infoladen Kasama, Postfach 1758, 8026 Zürich erreicht werden. 1 Zusammen mit der am 19.12 verhafteten Sabine Eckle tauchten Rudolf S., Christian G. und Sonja S. im August 1978 nach den unfreiwilligen "Aussagen" Hermann Feilings unter, gesucht als "Frankfurter Zelle der RZ". Hermann Feiling verlor bei der Vorbereitung einer Aktion gegen die argentinische Militärdiktatur, die die Fussball-WM austrug, das Augenlicht und beide Beine als der Sprengsatz zu früh explodierte. In diesem Zustand wurde er für 1300 Seiten Protokoll verhört. Im Oktober 1988 wurde das Verfahren gegen Rudolf S. und Sabine E. eingestellt, die danach wieder "auftauchten". 2 Dieser Ausschnitt ist leicht gekürzt aus der interim Nr.492 vom 27.1.2000 übernommen. Im Infoladen nachlesen! 3 Ak - analyse und kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 434, 20.1.2000 4 Die Früchte des Zorns. Texte und Materialien zur Geschichte der Revolutionären Zellen und der Roten Zora. Band 1 und 2. Berlin 1993. ID-Archiv. Erhältlich im Infoladen Kasama.

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