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Datum:
März 2000
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Zeitung:
l.u.p.u.s.- Gruppe
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Titel:
Von A bis RZ ?
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Von A bis RZ?
Am 19.12.1999 stürmen mehrere Hunderschaften der Polizei den
Mehringhof in Berlin. Am selben Tag werden zwei Mitarbeiter von Projekten
des Mehrighofs in ihren Wohnungen verhaftet. Zeitgleich wird Sabine E. in
Frankfurt verhaftet. Die Durchsuchungen und die 3 Verhaftungen werden von
der BAW damit begründet, daß Tarek M.- der selbst am 23.11.99
wegen Mitgliedschaft in den Revolutionären Zellen (RZ) verhaftet
wurde- in umfangreichen Aussagen die 3 Verhafteten als (ehemalige)
Mitglieder einer Beliner RZ-Gruppe belastet habe. Außerdem
befände sich ein Waffen- und Sprengstoff-Depot der RZ im Mehrighof. In
den Medien wird Tarik Mousli , als Kopf der Revolutionären Zellen (
Der Tagesspiegel vom 20.12.99) und Plaudertasche (Focus) gehandelt. In
autonomen Zusammenhängen werden seine belastenden Aussagen als Verrat
eines Märchenprinzen ( Interim vom 27.1.00) gewertet, der sich dem
Staatsschutz als Kronzeuge angeboten hat.
Tarek Mousli war seit Ende der 70er Jahre in militanten
Zusammenhängen aktiv. In Kiel beteiligte er sich an
Häuserkämpfen und im Anti-AKW-Kampf. Seit Anfang der 80er Jahre
lebte er in Berlin und war dort in der autonomen Szene aktiv. Wir
können uns an wenige Menschen erinnern, die auf eine so lange
politische Geschichte zurückblicken können. Wir wissen nichts
darüber, daß seine politische Praxis, sein Umgang mit anderen
(Miltanten), irgendwelche hartnäckigen Zweifel genährt
hätte. Dafür spricht - ungewollt zwiespältig- auch der Titel
des Interim-Vorwortes: Der Verrat eines Märchenprinzen . Um den Fakt
umfangreicher, sich selbst und andere belastender Aussagen kreisen seit
Wochen Spekulationen, Gerüchte, persönliche und politische
Einschätzungen. Zwischen dem, was tatsächlich- aktenkundig-
belastende Aussagen sind und was Gerüchte und Mutmaßungen sind,
klafft eine unverantwortlich große Lücke.
Autonome Plaudereien über eine revolutionäre Plaudertasche
Nicht nur die Interim fragt sich warum es sein kann, daß einer wie
Tarek so lange so viel macht und dann so umkippt.. Das eigene Erschrecken,
die gemeinsame Fassungslosigkeit über die schlimmste Form von Verrat-
an ehemaligen politischen FreundInnen, an einer ganzen Szene, an der Utopie
gesellschaftlicher Veränderung (Interim) ist spürbar. Die meisten
Stellungnahmen verharren lähmend in Andeutungen und Appellen, nicht zu
spekulieren, sich an keinen Gerüchten und Mutmaßungen zu
beteiligen. Anstatt dem Stochern im Dunklen mit (aktemkundigen) Fakten zu
begegnen, fordert dieser öffentliche Umgang geradezu zu Spekulationen
heraus.
Vom Phantasma eines in der Biographie angelegten Verrats oder
Der Tod eines (jeden) Märchenprinzen.
In der Interim (Nr.492) wird ein Text- kommentarlos- mit dem Titel
Einige Stichpunkte zur Biographie von Tarek Mousli abgedruckt. Dort
erfahren wir, daß er sehr an formaler Anerkennung wie schwarze
Gürteln orientiert war. Außerdem erfahren wir, daß Tarek
sowohl langandauernde Beziehungen als auch etliche Affairen lebte. In
diesen, und das war schon zum damaligen Zeitpunkt bekannt, erzählte er
immer wieder ausführlich, an was für tollen Geschichten er
angeblich beteiligt sei, damit die Frauen auch gewiß merken, an was
für einen tollen Hecht sie geraten waren. Dem Verfasser schwant wohl
etwas und fährt schnell fort: Das wäre jetzt purer Tratsch, wenn
es nicht genau der Knackpunkt ist, über den Tarek 1995 und 1999
gestolpert ist . Zu guter Letzt erfahren wir noch, daß sich Tarek
immer mehr kulturell aus der Kreuzberger Szene (entfernt hat). Demonstrativ
setzt er dies mit einer groß inszenierten Hochzeit mit seiner
damaligen Freundin um . Warum wir -hämisch grinsend- wissen
müssen, daß sie sich 1 ½ Jahre später wieder
scheiden ließen, erfahren wir nicht. Genauso im unklaren
läßt uns der Verfasser, warum es wichtig ist, zu erfahren,
daß Tarek Mousli eine deutsche Mutter und einen saudiarabischen
Staatsbürger als Vater hat. Will er damit einen 'Identitäts-
und/ oder Kulturkonflikt' andeuten? Der Verfasser gibt vor, mit diesen
biographischen Stichpunkten den Konflikt für all die nachvollziehbarer
zu machen, die ihn nicht persönlich kennen . Diese
'Biographie' nähert sich vielem- am allerwenigsten der Frage,
wie ein solcher Verrat zu verstehen ist. Alles wird angespielt und
angedeutet: ein bischen antipatriachale Kritik, ein bischen Kritik an
(männlichem) Leistungsdenken. Und wer damit nichts (mehr) anzufangen
weiß, wird mit dem Stichwort etliche Affairen ebenfalls gut bedient.
Nehmen wir einmal für Augenblicke an, diese Biographie könnte
tatsächlich auf die Frage: Wie kam es dazu, daß einer wie Tarek
so lange so viel macht und dann so umkippt eine Antwort geben. Wo finden
wir einen Menschen, der nicht (auch) nach formaler Anerkennung sucht? Wo
finden wir einen Menschen, der absolute Verschwiegenheit, gerade auch
gegenüber seiner Freundin, seinem besten Freund, in aller Konsequenz
durchhält? Wo finden wir einen Menschen, der es mit den unbestimmbaren
Codes autonomer Lebenswelten genau nehmen kann? Diese Biographie, die darin
versteckten Wegweiser in Richtung Verrat entwerfen als Gegenbild einen
Menschen, den es nicht gibt- weder in den Reihen der Zapatistas, noch unter
uns. Diesen Menschen gibt es nur als Fabelwesen- z. B. in Gestalt eines
'Märchenprinzen'. Diese Biographie schafft keine
Aufklärung. Sie imaginiert eine Gemeinschaft von Märchenprinzen-
die irgendwann einmal, im wirklichen Leben, kaputt gehen muß. Verrat
ist eine Möglichkeit, die auffälligste . Die Rückkehr ins
'normale' Leben die weitverbreitete.
Der Fall des 'Märchenprinzen'
Auch die Interim erliegt dem naheliegenden Versuch, die selbst
gestellten Fragen mit dem Klischee eines skrupellosen Verräters
stillzulegen. In ihrem Vorwort weiß die Interim von einer offenbar
bereits lang ersehnte(n) Loslösung von seiner politischen
Vergangenheit . Weniger offenbar , ganz sicher ist sich die Interim,
daß Tarek Mousli alle und jeden..verrät...Seine Aussagen sind
willkürlich, er kombiniert kreativ und auch wenn man/frau wenig oder
sogar nichts mit ihm zu tun hatte, könnte er oder sie im Strom seiner
Aussagen auftauchen . Ganz in diesem Strom, zwischen Focus und autonomer
Szene taucht immer wieder eine Liste von 50 Namen , eine Lebensbeichte auf-
mal ist sie existent, mal wird sie gesucht, mal weiß man/frau es
nicht so genau. Wir können- aus der Ferne- nicht beurteilen, was an
all dem Mutmaßungen, was daran Fakt ist. Nehmen wir jedoch an, es
stimmt, daß Tarek Mousli alle und jeden verrät: was hält
jene ab, die das genau wissen, all das genau und nachvollziehbar
öffentlich zu machen? Wer soll denn noch mit all diesen Andeutungen
geschützt werden, wenn dem Staatsschutz alles -schwarz auf weiß-
vorliegt? Wir empfinden den Umgang mit diesem vermeintlichen Wissen falsch
und gefährlich. Er nährt den Verdacht, daß das
beunruhigende an den gemachten Belastungen Tarek Mousli's nicht der
Umstand ist, daß man von diesem tollen Hecht nichts anders erwartete,
sondern daß man davon völlig überrascht ist. Nach all dem,
was wir wissen, wurde Tarek Mousli gerade nicht als
'Großmaul' geduldet, sondern als ein Mensch geschätzt,
auf den sich viele jahrelang verlassen konnten.
Warum hat Tarek Mousli bei seiner ersten Verhaftung im März 1999
'nur' sich selbst belastet, warum aber ein paar Monate später,
im November/Dezember 1999 alle und jeden ? Sind die Belastungen seiner
früheren Freundin der einzige Grund, mit denen er -laut
Interim-Gerücht- erst im November 99 konfrontiert wurde? War das
tatsächlich alles? Ist es wirklich nachvollziehbar, daß jemand
'alles und Jeden' verrät, wenn er durch seine frühere
Lebensgefährtin verraten wurde? Selbst wenn es stimmen soll, daß
er aufgrund seiner Prahlereien mit RZ-Aktionen in Verbindung gebracht wird:
Erklärt das wirklich, daß Tarek Mousli alle und jeden
verrät, obwohl er genau weiß, daß die meisten
Vorwürfe strafrechtlich verjährt sind? Sehen nicht zumindest
einige einen Widerspruch in der Behauptung, Tarek Mousli habe sich Anfang
der 90er Jahre ins 'normale' Leben verabschiedet, während
gleichzeitig in der Begründung zur Durchsuchung des Mehringhofes
steht, daß Tarek Mouli 1995 Sprengstoff von anderen (RZ-Mitgliedern)
zur Aufbewahrung bekommen hat?
Man kann all diesen Fragen, die berechtigterweise zu Mutmaßungen
und Mißtrauen Anlaß geben, mit dem Profil eines hemmungslosen
Verräters glattbügeln. Politisch halten wir diesen Umgang
für fatal.
Das Schweigen über die Geschichte der RZ
Seit Wochen wird viel Zeit damit verbracht, Gerüchte und
Mutmaßungen weiterzureichen und vor ihnen zu warnen, sie
einzusortieren und aus der Welt zu schaffen. In diesen breiten Strom aus
lancierten 'Focus'- Meldungen und Szene-Erkundungen kann man auch
noch eine 'Biographie' reinschütten.
Wir können verstehen, daß es leichter erscheint, sich gegen
einen Verräter zu solidarisieren, als sich mit dem Konzept und der
Geschichte der RZ/ Rote Zora auseinanderzusetzen, die über Jahre
hinweg ein wichtiger Bezugspunkt automomer, militanter Politik war. Wir
können verstehen, daß man leicht der Versuchung unterliegt, die
RZ-Geschichte als eine Art Flüchlingspolitik zu begreifen, die man
fortentwickelt hat, auch wenn dies in deutlichem Gegensatz zu den
RZ-Erklärungen steht. Wir wissen um die Schwierigkeit, sich gemeinsam
zu der Geschichte der RZ zu verhalten- um die noch größere
Schwierigkeit, sich zu den heutigen Bedingungen einer militanten Politk
-gemeinsam- zu äußern. Man kann all dem aus dem Weg gehen und
die Durchsuchung des Mehringhofes als einen gezielten Versuch werten, einen
solch schwer kontrollierbare(n) Ort (Presseerklärung des Mehringhofes
v.20.12.99) zu kriminalisieren. Damit kann man Eiltelkeiten befriedigen und
vielleicht sogar 'breite Empörung' schaffen. Das schafft
Schwierigkeiten weg, die uns jedoch bei einer wirklichen
Solidaritätsarbeit auf die Füße fallen werden.
Im folgenden geht es nicht darum, die über 20 jährige
Geschichte der RZ/ Rote Zora nachzuzeichnen. Sie ist bereits bestens in
Früchte des Zorns (Verlag ID-Archiv) dokumentiert. Wie andere auch
haben wir einige RZ-Erklärungen und Erwiderungen noch einmal gelesen
und sind auf Andeutungen und Nebensätze gestoßen, über die
wir damals hinweggelesen haben, für deren Tragweite wir damals keine
Anhaltspunkte hatten. Wir können nicht sagen, inwieweit diese den
Verrat von Tarek Mouli (mit) erklären können. Das müssen
andere tun. Das ist kein Grund, sich solange dumm zu stellen. Denn wenn es
stimmt, daß Tarek Mouli RZ-Mitglied war, dann ist es naheliegend,
daß diese Auseinandersetzungen, die mit zur Auflösung der
RZ/ Rote Zora führten, auch an ihm nicht spurlos vorübergegangen
sind. Das entschuldigt keinen Verrat, das rechtfertigt keinen Verrat. Aber
es beschreibt die Bedingungen für einen gemeinsamen politischen
Prozeß, der nicht den Verrat zum Ausgangspunkt der
Solidaritätsarbeit macht, sondern das eigene Verhältnis zur
militanten Politik. Diese ist weniger von Erfolgen, als von tiefen Rissen
und reichlich Not-Brücken gezeichnet: Anschlags-Bundesligen,
schwindende Zusammenhänge, trotzige Erklärungen, distanzierte
Nachdenklichkeit, persönlichen Zerstrittenheiten, gepflegte
Selbstgerechtigkeiten, sich selbst überfordender Aktivismus und
bleierne Resignation stehen wortlos und/ oder verächtlich
nebeneinander. Die Auseinandersetzung mit der RZ/ Rote Zora-Geschichte
könnte ein Spiegel sein, in dem wir -fast unverzerrt- unsere eigene
Geschichte wiederfinden können.
Die Solidaritätsarbeit steht vor einem Problem: Sie muß ein
politisches Verhältnis zu etwas herstellen, was es nicht mehr gibt.
Dieser enormen Schwierigkeit kann man aus dem Weg gehen, indem mann/frau
sich entweder mit 1/2/3/4 Verhafteten aus persönlicher Verbundenheit
solidarisiert oder eine Kontinuität ( Jedes Herz ist eine
revolutionäre Zelle (Interim, Nr. 492)) vortäuscht, die das
faktische Ende der RZ/ Rote Zora einfach leugnet. Ersteres wäre noch
verständlich, zweiteres einfach nur verlogen. Wir wünschen uns
eine Solidarität, die nicht nur einzelnen Gefangenen gilt. Uns geht es
um ein verbunden-sein mit einer militanten Politik, in der die RZ/ Rote Zora
ein möglicher Ausdruck war. Am aller wenigsten geht es darum, sich mit
der RZ/ Rote Zora zu identifizieren. Die viel größere Anstrengung
besteht für uns darin, ihr dadurch eine Bedeutung zu geben, indem wir
den Erfolgen und Niederlagen, den weitsichtigen Analysen und politischen
Irrtümern einen Platz in unserem eigenen Denken und Handeln geben-
nicht nur im Hinblick darauf, was war, sondern gerade auch im Blick darauf,
was werden soll.
Man muß nicht in der RZ gewesen sein, um sich die Konflikte und
Auseinandersetzungen innerhalb der RZ und um sie herum zu
vergegenwärtigen. All das ist dokumentiert, in vielen
Erklärungen, Stellungnahmen und Erwiderungen. Dazu zu schweigen, macht
den Weg frei, es dem Staatschutz und 'Focus' zu überlassen,
RZ-Geschichte nach ihrem Belieben zu schreiben und abzuwickeln. 1991
veröffentlichten die RZ eine Erklärung: Gerd Albartus ist tot .
Darin wirft die RZ einer Gruppierung, die sich dem palästinenesischen
Widerstand zurechnet , vor, ein RZ-Mitglied als Verräter zum Tode
verurteilt zu haben. Die Suche nach einer Antwort..in der das
Bedürfnis nach Rache seinen Platz gefunden hätte, ohne daß
es den Falschen trifft, ist ins Leere gegangen..Der Weg der
Veröffentlichung ist zugleich die Kapitulation vor weitergehenden
Ansprüchen. In dieser Erklärung wird ausgeführt, daß
die Verbindung zu dieser Gruppierung auf einen Abschnitt in ihrer
Geschichte verweist, unter den wir aus politischen Gründen schon vor
etlichen Jahren einen Schlußstrich gezogen haben . Konkret
angesprochen wird die Flugzeugentführung 1976, an der sich zwei
Palästinenser und zwei Mitglieder der RZ beteiligten. Ziel war es, die
Freilassung von über 50 Gefangenen zu erzwingen. Ergebnis war die
Erstürmung des Flugzeuges in Entebbe und der Tod des Kommandos. Der
Versuch, die masiven Auseinandersetzungen um diese Gefangenenbefreiung auf
eine operativer Kritik (.. dem Kommando (wurde) im Zuge der Operation die
Befehlsgewalt entzogen..(es hatte) bloß noch die Weisungen zu
befolgen.., die an anderer Stelle...ausgegeben wurden ) zu reduzieren,
sollte sich rächen. Daß die Grenzen dieser Zusammenarbeit nicht
technischer oder taktischer, sondern politischer Art waren, sahen wir
nicht.. Die Auseinandersetzungen innerhalb und außerhalb der RZ
gingen weiter: Das Wissen um die Katastrophe wirkte wie ein permanent
schwelender Treibsatz fort. Zum einen ging es um die
Flugzeugentführung selbst und um die Auswahl der Passagiere, die
für einen Gefangenenaustausch festgehalten wurden. Die RZ kommen in
ihrem Papier zu dem Schluß, daß es sich dabei um eine
Selektion..entlang völkischer Linien handelte, bei der ein -im
Antizionismus verkleideter- Antisemitismus zu tragen kam, der um keinen
Preis politisch mitzutragen ist. Zum anderen wenden sich die RZ gegen ihre
eigenen, zurückliegende antiimperialistische Praxis, die sich nicht
aus den Verhältnissen und Bedingungen hier begründete, sondern
mit den weltweiten Kämpfen. Sie kommen zum Schluß, daß die
Existenz und Gewalt des gemeinsamen Gegners ..nicht aus(reichen), um die
Gegensätze und Konflikte in den eigenen Reihen einzudämmen .
Einer dieser politischen Gegensätze ist die Frage/und der Mythos
nationaler Unabhängigkeit, in der die RZ den sozialen Gehalt der
Revolution nicht aufgehoben sieht.
Die seit Mitte der 80er Jahre verübten Sabotageaktionen und
Angriffe auf Institutionen und Personen, die den (deutschen) staatlichen
Rassismus verwalten und exekutieren, kann als eine Konsequenz aus dieser
Selbst-Kritik verstanden werden. Diese Selbst-Kritik führte aber auch
zu anderen Konsequenzen: Es kam zu Brüche(n) in persönlichen
Freundschaften..die bis hin zu Trennungen gingen . In einem Papier, das mit
RZ-Tendenz für die internationale soziale Revolution unterschrieben
ist, wird der Vorwurf erhoben, daß das Papier zum Tod von Gerd..gegen
unseren Willen mit dem Gesamtnamen RZ unterzeichnet ist. Darin deuten sie
nicht nur ihre Kritik an der wenig aufrüttelnden
Flüchtlingskampagne an, sondern machen auch aus ihrem Eindruck keinen
Hehl, daß für sie das Gerd Albartus-Papier die Suche nach,
eine(m) konstruktiven Platz zur Neugestaltung der Demokratie ist, kurzum
der Ausstieg aus militanter Politik: Eine Diskussion mit Euch um
Aufhören oder Weitermachen scheint mit Euch auf dem Hintergrund Eurer
Entscheidung nicht mehr möglich.. Wer die Erklärung Gerd Albartus
ist tot -als Außenstehende/r- liest, bekommt eine Vorstellung von den
unterschiedlichen Konzepten und Begründungen militanter Politik. Und
beileibe ist es kein RZ-Spezifikum, auf einen Punkt zuzusteuern, wo diese
nicht mehr zusammen getragen werden können. Es mag viele Gründe
für diese verächtliche Erwiderung auf die Kritik an der eigenen
Praxis geben. Und noch einmal so viele Gründe für das
vernichtende Urteil, Frieden mit dem System schließen zu wollen. In
der kritisierten Erklärung finden man sie nicht.
Es spricht viel dafür, daß all das, was nur andeutungsweise
in den Erklärungen und Erwiderungen zu finden ist, die
Auseinandersetzungen innerhalb der RZ weiterhin bestimmte. Das kann u.a.
der Erklärung: Das Ende unserer Politik , nun ein paar Monate
später, im Januar 1992, entnommen werden. Diese
Auflösungs-Erklärung wurde nicht von der RZ insgesamt, sondern
nur von einem Teil verfaßt. Darin greift sie noch einmal die
Positionen im Gerd Albartus-Papier auf, den Abbruch damals üblicher
internationale(r) Kontakte , um dann ihr eigenes sozialrevolutionäres
Verständnis von Politik zu bilanzieren, vorallem die militanten
Interventionen im Flüchtlingsbereich: ..wir phantasierten den Willen
der Flüchtlinge, in den Metropolen ihren Anteil am gesellschaftlichen
Reichtum..einzuklagen, als direkten antiimperialistischen Kampf..und damit
als ein mögliches Terrain unserer eigenen Politik. Als die Kämpfe
in dieser Form ausblieben, auf die wir hätten Bezug nehmen
wollen..kompensierten wir dies mit der Analyse der staatlichen
Flüchtlingspolitik und mit Angriffen auf deren zugängliche
Agenturen . Damit erklärte dieser Teil der RZ etwas für
gescheitert, was der internationalistischen Ausrichtung der RZ ( Opec,
Entebbe ect) eine Theorie und Praxis entgegensetzen sollte, die sich an den
Kämpfen hier orientiert. Auch in diesem Papier sind Andeutungen
enthalten, die weit über die Kritik an einer illusionären
Bezugnahme auf Flüchtlinge und eine fehlende Verankerung militanter
Politik hinausweist: Mit dem Vorschlag...im Jahre 1990 alle Kräfte der
RZ auf die Ingangsetzung einer breiten, antirassistischen und
internationalistischen Kampagne zu lenken, sind wir nicht durchgekommen.
Teile des Zusammenhangs der RZ waren und sind der Ansicht, mit einer neuen,
antipatriarchalen Orientierung das politische Defizit füllen und die
RZ über die Durststrecke bringen zu können. Unsere Gruppe konnte
und wollte..die Ausrichtung der gesamten Politik auf das Thema
Antipatriarchalismus nicht hinnehmen . Eine gemeinsame Politik mit den
Frauen der Roten Zora scheiterte. Stattdessen wurde ihnen durch unsere
Ansichten und unser Verhalten die Trennung von uns nahe (gelegt) .
Die politischen und persönlichen Konsequenzen, die die Teile der RZ
gezogen haben, die die Selbst-Kritik und politischen
Schlußfolgerungen im Gerd Albartus-Papier nicht teilten, sind nicht
veröffentlicht. Genauso wenig läßt sich nachvollziehen,
welche praktischen Schritte die Teile der RZ und Rote Zora gegangen sind,
die ihre antipatriachale Kritik innerhalb und außerhalb der
RZ-Zusammenhänge in ihre politischen Praxis einbeziehen wollten.
Tatsächlich geht die letzte Aktion einer RZ-Gruppe auf das Jahr 1991
bzw. 1995 zurück. Seitdem sind keine Aktionen der RZ/ Rote Zora mehr
dokumentiert. Es spricht viel dafür, daß die RZ/ Rote Zora nicht
an der staatlichen Repression gescheitert ist, sondern an inneren
Auseinandersetzungen, für die es keine gemeinsame politische Praxis
mehr gab. Im Rückblick auf die RZ/ Rote Zora gibt es nicht nur
wertvolle grundsätzliche Einschätzungen und mit sichtbarer
Zustimmung aufgenommene Aktionen, die für viele damals Anstoß
für ihr eigenes Handeln und Denken waren. Dazu zählen auch die
hier angerissenen Brüche und Trennungen, Unterstellungen und
Andeutungen, politische Ausstiege und persönliche Rückzüge.
Sie spiegeln nicht nur die Geschichte der RZ/ Rote Zora wider. Darin
können sich auch all die- ohne Häme und Distanzierung-
wiederfinden, die sich einst gerne zur autonomen, militanten Bewegung
zählten. Wer angesichts der Repression und der Verhaftungen die
Geschichte der RZ/ Rote Zora am liebsten weglassen will, wer die Dimension
der belastenden Aussagen von Tarek Mousli mit einer
'Verräter-Biographie' zu versenken versucht, landet hilflos im
Vorwort der 'Interim': Für uns ist es selbstverständlich,
sich prinzipiell mit denen zu solidarisieren, die vom Staat kriminalisiert
werden . Wenn wir zur Geschichte der RZ/ Rote Zora schweigen, werden
'andere' auf Fragen Antworten geben. So berichtete der
'Focus' in eine seiner letzten Ausgaben, daß an der Ermordung
von Gerd Albartus Carlos und das RZ-Mitglied Weynrich beteiligt gewesen
sein sollen. Das erschreckende an dieser Meldung ist, daß der
Wahrheitsgehalt mit dem wochenlangen Schweigen eher zu- als abnimmt.
Anerkennenswert greift die So oder So! in ihrer März-Ausgabe diese
Befürchtungen auf: Die BAW erklärte vor kurzem, in Berlin
demnächst Johannes Weinrich wegen der Erschießung des
RZ-Militanten Gerd Albartus 1987 im Nahen Osten anklagen zu wollen. Bereits
Ende der 90ziger war Magdalena Kopp, eine ehemalige Aktivistin der Gruppe
Internationaler Revolutionäre ( oder: Carlos-Gruppe ) mittels des
VS-Spezialisten für Aussteiger Benz aus ihrem Exil in Venezuela in die
BRD zurückgeführt worden. Der FOCUS berichtete von umfangreichen
Aussagen Kopps, die sich auch auf den Tod von Gerd Albartus bezogen. Laut
Kopp's Version sei Gerd von einem Volksgericht der Carlos-Gruppe wegen
angeblicher Agententätigkeit angeklagt und dann per Kopfschuß
liquidiert worden. Unglaubwürdig klingt das nicht.
Sicherlich können auch ganz persönliche Umstände und
Entscheidungen eine Rolle bei Aussageverweigerung oder Verrat spielen-
gerade dann, wenn ein politischer Lebenszusammenhang in sich zusammen, eine
gemeinsam getragende Utopie , auseinandergebrochen ist. In einem solchen
Fall trifft staatliche Repression möglicherweise auf Menschen, die
ganz unterschiedliche Konsequenzen daraus gezogen, wenig oder gar nichts
mehr miteinander zu tun haben. Damit ist nicht nur Tarek Mouli gemeint.
Solidarität entsteht am allerwenigsten darüber, daß man
die Verhafteten als Opfer staatlicher Repression in Schutz nimmt. Das Ziel
dieser staatlicher Repression ist nicht die Zerschlagung einer
existierenden RZ-Struktur, sondern die Rache an einem militanten Konzept,
das sich ihrer Logik, ihrer Ordnung, ihren Fahnungsrastern -mehr oder
weniger erfolgreich- über 20 Jahren entzog. Dieses Konzept hatte
-geschichtlich betrachtet- eine große Bedeutung im Rahmen radikaler
Systemopposition. Sich dazu in Beziehung zu setzen- von heute aus- ist Teil
einer Solidaritätsarbeit-- unabhängig davon, wie sich die
einzelnen Verhafteten juristisch und/ oder politisch dazu verhalten
werden.
autonome L.U.P.U.S.-Gruppe März 2000
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