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Antisemitismus der RZ
Wenn wir uns nun dem "Revolutionären Zorn" Nr.1 vom Mai
1975 zuwenden, dann überspringen wir einen Zeitraum von knapp 7
Jahren, dessen Entwicklungen selbst grob beschrieben wohl noch
unzählige Seiten füllen würden, aber "im
Hinterkopf" seien sollten.(32) Im Revolutionären Zorn heißt
es: "Die Aktionen der Revolutionären Zelle lassen sich in drei
Bereiche unterteilen:
- antiimperialistische Aktionen gegen die Beteiligung der USA, ITT
am Putsch in Chile, gegen die chilenischen Faschisten in der BRD und in
Westberlin
- Aktionen gegen die Filialen und Komplizen des Zionismus in der
BRD;
- Aktionen, die den Kämpfen von Arbeitern, Jugendlichen und
Frauen weiterhelfen sollen, die ihre Feinde bestrafen und
angreifen."
Augenfällig ist, daß antizionistische Aktionen getrennt von
antiimperialistischen Aktionen aufgeführt werden. Nicht mehr Israel
als "Brückenkopf" des Imperialismus gelten die
Aktionen, sondern "dem Zionismus" schlechthin. Was unter Filialen
und Komplizen zu verstehen ist, ergibt sich aus der folgenden, nach eigenem
Bekunden unvollständigen Auflistung der Aktionen 1973-1975, darunter
unter anderem: "Sept. 74
- Anschlag auf die Maschinenfabrik Korf, die zu 3/4 im Besitz der
Zionisten ist. [?Sic!]
- Anschlag auf das EL-AL Büro in Frankfurt
(...)"
Mag man aus dem Anschlag auf ein Büro der staatliche israelischen
Fluggesellschaft noch darauf schließen können, daß mit
"Filialen und Komplizen des Zionismus" gemeint ist, daß die
Anschlagsobjekte danach ausgewählt werden, ob der israelische Staat
involviert ist, so läßt die RZ die Frage offen, was denn
"zionistischer Besitz" sein soll. Hat der israelische Staat
Aktienanteile der Maschinenfabrik oder heißt "zionistischer
Besitz" jüdischer Besitz? Doch lesen wir weiter: In den
Erläuterungen ihrer Aktionen heißt es zum Komplex Antizionismus:
"Unsere Anschläge auf Korf und das staatliche israelische
Reisebüro (33) sind Ausdruck unserer Solidarität mit dem
palästinensischen Volk im Kampf gegen den Zionismus. Seit München
1972 (34) (...) hat die gesamte Linke in der BRD es nicht mehr
fertiggebracht, einen Ton zum Völkermord an den Palästinensern
über die Lippen zu bringen. Die furchtbaren Verbrechen des deutschen
Faschismus an den Juden dürfen uns nicht die Augen verschließen
vor dem Ausrottungsfeldzug der Zionisten in Palästina. Die Zionisten
haben unheilvolle Lehren aus der Vergangenheit gezogen; sie haben gut
gelernt und verfolgen, unterdrücken, vertreiben, beuten die
Palästinenser heute aus, wie sie einst selbst verfolgt
wurden."(35) Wer vermeintlich antizionistische Aktionen mit einer
solchen Begründung versieht, der vermittelt den Eindruck, daß
die politische Gegnerschaft nicht der rassistischen Politik des Staates
Israel gilt, sondern Juden. Die PalästinenserInnen sind Opfer von
"Völkermord" und "Ausrottungsfeldzug". Beides
sind Beschreibungen für die Shoah, womit die Politik gegenüber
den PalästinenserInnen mit der Vernichtung der europäischen Juden
und JüdInnen gleichgesetzt wird. Als verantwortlich wird nun aber
nicht die Politik des israelischen Staates genannt, sondern "die
Zionisten". Wer soll das sein? Israelische Politiker, israelische
Bevölkerung, die Juden und JüdInnen außerhalb Israels,
denen die Existenz eines jüdischen Staates wichtig ist? Der
Schluß "...wie sie einst selbst verfolgt wurden"
deutet darauf hin, daß "die Zionisten" synonym
für "Juden und Jüdinnen" verwendet wird, denn im
Nationalsozialismus wurden Zionisten nicht als Zionisten verfolgt, sondern
als Juden vernichtet. Mit den unterstellten "unheilvollen Lehren aus
der Vergangenheit" wird ein Zusammenhang hergestellt, der behauptet
"die Zionisten" - synonym für "die Juden"-
haben ihre Politik den Nazis abgeguckt, betreiben also quasi eine
Fortschreibung der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik. Die oben
konstatierte Gleichsetzung von israelischer Politik gegenüber mit
PalästinerInnen hat eine andere Zielrichtung, als die einer
Relativierung und Verharmlosung wie z.B. bei einer Gleichsetzung Ausschwitz
und Gulag. Obwohl ich kein Anhänger der vor allem in jüngerer
Zeit in Mode gekommenen sozialpsychologischen Erklärungsmuster bin, da
diese dazu neigen die politische und gesellschaftliche Dimension
auszublenden, läßt eine rein textimmanente Analyse des obigen
Passus, insbesondere der letzten drei Sätze, kaum einen anderen
Schluß zu, als den der Projektion.
Doch allein aus den politischen Urteilen und Stellungnahmen der RZ zum
Komplex Zionismius geradlinig auf die Motive antizionistischer Aktionen zu
schließen, verengt die Perspektive. 1981, im Revolutionären
Zorn Nr. 6, reflektieren die RZ ihre Politik in den 70ern sehr
ausführlich. Darin heißt es u.a.: "Die beschriebene
Tendenz zum Auseinanderfallen von Bewegung und Guerilla", die -
wie vorher ausgeführt - unter anderem auch dazu führte,
daß, "(...) angewiesen auf Unterstützung (...), die
Gruppe 'Bündnisse' [eingeht] und (...) dabei den Verlust ihrer
Autonomie [riskiert], gerade weil sie in der Regel ein Produkt der
Schwäche sind"(...) "wurde zusätzlich dadurch
begünstigt, daß wir uns einem Problem gestellt haben, dem
Guerilla verpflichtet ist - dem Problem der Gefangenen.(...)
Gefangenenbefreiung setzt die Bereitschaft und die Fähigkeit voraus,
sich mit militärischen Mitteln auf die Ebene der machtpolitischen
Konfrontation zu begeben.." Wenn man eins und eins
zusammenzählt, ist klar, welche Bündnisse hier gemeint sind. Das
ehemalige RZ-Mitglied Gerd Schnepel sagt denn auch in einem Interview mit
der jungle world Nr.49 vom November 2000: "Für eine solche
Aktion [Gefangenenbefreiung] brauchten wir eine internationale
Zusammenarbeit. Wir haben nach Verbündeten gesucht und sind unter
anderem auf die Palästinenser, genauer die PFLP und deren Ableger, die
Wadi-Hadad Gruppe, gestoßen." Seiner Meinung nach sei das
gemeinsame Internationalismusverständnis"nur sehr
abstrakt" gewesen. Darüber hinaus weist Schnepel auf eine
weitere Ebene hin, über die wir so gut wie gar nichts wissen, der aber
- trotz des Nimbus des geradlinigen Revolutionärs, mit dem sich Linke
so gerne umgeben - wenn wir ehrlich mit uns selber sind, eine kaum zu
unterschätzende Bedeutung zukommt, nämlich die der
persönlichen Motive: "Für Brigitte Kuhlmann, die zu den
GründerInnen der RZ zählte, gab es noch einen persönlichen
Hintergrund. Sie hatte für Ulrike Meinhof die letzte Wohnung besorgt.
Jene Wohnung, in der Ulrike verhaftet wurde, weil der Typ, dem die Wohnung
gehörte, die Polizei gerufen hatte. Brigitte hatte ihre
Fehleinschätzung schwer getroffen. Das war für sie ein
persönliches Motiv, die RAF-Leute wieder rauszuholen" Haben
also die Aussicht auf militärische Ausbildung und die Hoffnung mit
Unterstützung der PFLP die für eine Gefangenenbefreiung notwendig
scheinende "Ebene der machtpolitischen Konfrontion mit
militärischen Mitteln" durchstehen zu können, mit dafür
gesorgt, lieber nicht so genau über das eigene Verständnis von
Antizionismus und die deutlich mitschwingenden antisemitischen Töne
nachzudenken und jeglichen Antisemitismus - Vorwurf in die Counter Ecke zu
verbannen? Allerdings scheint sich Gerd Schnepel bis heute nicht besonders
mit Antisemitismus auseinandergesetzt haben, da für ihn die
"Berücksichtigung der deutschen Geschichte" hinsichtlich
der Positionierung gegenüber Israel nur eine taktische Frage ist.
1977 veröffentlicht der Spiegel einen Brief, mit dem
Hans-Joachim Klein seinen Ausstieg aus der RZ inszeniert und die Guerilla
als einen Club von gefühllosen, zynischen, durchgeknallten
Wahnsinnigen denunziert. Klein behauptet mit seinem Brief an den Spiegel,
geplante Anschläge auf die Leiter der jüdischen Gemeinden in
Frankfurt und Berlin verhindern zu wollen. Nicht die Vorwürfe des
Denunzianten Klein geben Anlaß zu Zweifeln als vielmehr die Reaktion
der RZ, die vor allem eins zeigen, mangelnde Auseinandersetzung mit einem
fragwürdigen Antizionismus. In "Die Hunde bellen und die
Karawane zieht weiter" vom Mai 1977 heißt es zunächst:
"Wir wissen, daß es unsinnig ist, hier die Lügen wie in
einem Kriminalprozess zu wiederlegen. (...) Wir können hier nur sagen,
daß gerade die präzisen Hinweise in seinem Brief, wo er unsere
Druckausübung auf ihn, unsere faschistischen Überlegungen
für menschenverachtende Aktionen, unsere instrumentellen
Verhältnisse zu uns, zu ihm, zu ausländischen
Befreiungsorganisationen, unsere grönländische Gefühlswelt
'beweisen' will, samt und sonders erlogen sind..." Die RZ
sagt zweifellos deutlich, daß Anschläge auf jüdische
Gemeindevorsitzende faschistisch und menschenverachtend sind, denkt aber
offensichtlich an diesem Punkt nicht weiter. So heißt es an die
Adresse der Pflasterstrandlinken: "...z.B. Galinski: Ihr fahrt auf
HJKs Horrorstory ab, statt zu überlegen, welche Rolle Galinski spielt
für die Verbrechen des Zionismus, für die Grausamkeiten der
imperialistischen Armee Israels, welche Propaganda- und materielle
Unterstützungsfunktion dieser Typ hat, der alles andere ist als nur
'jüdischer Gemeindevorsitzender' (...) Ihr entzieht Euch
dieser politischen Auseinandersetzung und geilt euch auf an dem behaupteten
(antisemitischen?) Faschismus der RZ und ihrer Hintermänner
(...)."(36)
Im November 1978 formulieren die RZ noch einmal anhand ihrer vergangenen
fünfjährigen Praxis ihre Ziele. Unter Punkt 7 "Gegen die
Internationale des Kapitals eine antiimperialistische Praxis
entwickeln", heißt es unter anderem: "Gerade wegen der
Verbrechen am jüdischen Volk haben wir Aktionen gegen den Zionismus,
seine staatlichen Institutionen, seine Firmen und Gesellschaften in der BRD
durchgeführt; denn die Zionisten betreiben heute mit amerikanischer
und deutscher Unterstützung Völkermord an den
Palästinensern, dessen Opfer die Juden vor 40 Jahren geworden
sind."(37) Zwar wird im Gegensatz zu oben Antizionismus deutlich
unter Antiimperialismus subsummiert, ansonsten bleibt das
Argumentationsmuster aber gleich. In dem wiederholten Insistieren darauf,
daß "die Zionisten" heute das täten, was ihnen als
Juden/JüdInnen angetan wurde, kommt eine moralische Empörung,
eine Art enttäuschter Erwartung zum Ausdruck, die möglicherweise
mehr mit einer christlich-moralischen Opferbegriff (MärtyrerIn als
heiliggesprochenes Opfer und Vorbild an Unfehlbarkeit) zu tun hat, als man
in einer säkularisierten Welt annehmen würde.
In ihren Erklärungen zu den Aktionen gegen die Israelische
Import-Gesellschaft Agrexo vom Juni 1978 und gegen die Import-Firma Hameico
im Juni 1979 äußern sie sich ähnlich. Zwar sind die
Erklärungen recht differenziert: So wird im Gegensatz zum Anschlag auf
die Maschinenfabrik Korf die Auswahl ihrer Anschlagsobjekte mit deren
marktführenden Positionen für den Vertrieb von israelischem Obst
und Gemüse begründet, ihre Solidarität wird konkretisiert
als Solidarität gegenüber den"arabischen Arbeitern und
Tagelöhnern auf den Plantagen", symbolisch unterstützt
werden soll der Versuch arabischer Plantagenarbeiter, mit
"Ungenießbarmachen" von Orangen durch Quecksilber die
israelische Exportökonomie zu schwächen usw. Daneben projizieren
die RZ erneut die Täterschaft der Shoah auf die Opfer, wenn sie sagen:
"...Genügt es nicht zu sagen, daß gerade der israelische
Staat es ist, der die Politik der Vertreibung, Verfolgung und Ausrottung
eines ganzen Volkes fortführt [sic!] und weiterpraktiziert [sic!],
diesmal [sic!] gegenüber den Palästinensern und der Enteignung
ihres Bodens, was seine Entsprechung hatte in der Blut- und Bodenpolitik
der Nazis, bis hin zu sprachlichen Details, wenn das den
Palästinensern entrissene Land als 'Heiliger Boden, unser Boden
oder biblischer Boden' bezeichnet wird" Dieser Logik folgend,
spricht die RZ denn auch vom "faschistischen Genozid am
palästinensischen Volk" und vom "Holocaust an den
Palästinensern".
Das Antisemitismusverständnis der RZ bewegt sich auf der Ebene
verstaubter Völkerkundelexikas, wenn sie schreiben: "Der Kampf
gegen den Zionismus ist der entschiedenste Kampf gegen jeglichen
Antisemitismus. Denn genauso wie er die faschistischen Verbrechen
bekämpft, bekämpft er die Verbrechen des israelischen Staates an
den Palästinensern, die selbst Semiten sind."(38)
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