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Selektion entlang völkischer Linien?
Bleiben wir beim Stichwort Entebbe und widmen uns wieder der
Veranstaltung: Die Referenten vertraten vehement den Standpunkt, dem
übrigens seitens des Publikums nicht widersprochen wurde, daß
bei der Entführung des französischen Air-Busses durch ein
Kommando der PFLP (outside operations/Wadi-Hadad Gruppe) und 2
RZ-Mitglieder nach Entebbe/Uganda 1976, mit der die Freilassung von 53
Gefangenen aus Knästen in Israel, Frankreich, der BRD und der Schweiz
erwirkt werden sollte, nicht entlang "völkischer Linien",
wie es im RZ-Papier "Gerd Albartus ist tot" vom Dezember
1991 heißt (7), selektiert worden sei. Vielmehr seien zunächst
ältere und kranke Geiseln freigelassen worden und dann die weiteren
Entscheidungen, wer gehen durfte und wer nicht, anhand der
Staatsbürgerschaft gefällt worden, so daß bis zur
Erstürmung der Maschine durch israelische Militärs 80 Israelis
und ca. 20 (?) Franzosen an Bord bleiben mußten. Die VerfasserInnen
des besagten RZ-Papiers seien bei ihrer kritischen Reflexion in diesem
Punkt selbst der bürgerlichen Presse aufgesessen, die in Gestalt des
Spiegel 1976 diesen Vorwurf erstmals erhob. Allerdings, räumten die
Referenten ein, bliebe trotz dieser Korrektur die Tatsache, daß
deutsche RZ-lerInnen Israelis sortierten.
Zwar hatte beispielsweise auch die zwei Tage vor der Veranstaltung
erschienene jungle world Nr.42 in ihrem anläßlich der
Berliner Prozesse herausgegebenen Dossier von einer Sortierung
"nach Pässen" gesprochen, insgesamt lautet der Tenor
jedoch - in diversen bürgerlich-liberalen Publikationen sowieso, aber
auch in unzähligen linksradikalen Veröffentlichungen, vor allem
denjenigen jüngeren Datums - explizit oder implizit, daß nach
dem Merkmal "Jude/Jüdin" sortiert worden sei. Hinzu
kommt, daß hier und da, so auch in der besagten jungle world, die
Rede davon ist, daß als einziges Geiselopfer ausgerechnet
die"belgische Staatsangehörige, Jüdin [sic!] und
ehemalige KZ- Insassin Dora Bloch" ums Leben kam. Wie paßt
das mit einer Sortierung nach israelischer Staatsbürgerschaft
zusammen?
Nun könnte man natürlich sagen, daß das Wissen um die
konkreten Abläufe und Entscheidungsmodi irrelevant ist, da auch bei
einer Sortierung nach israelischer Staatsbürgerschaft den Beteiligten
hätte klar seien müssen, daß diese - da muß man gar
nicht die Bevölkerungsverhältnisse oder das
Staatsbürgerrecht Israels im Einzelnen kennen - zwangsläufig in
eine Sortierung in Juden/Jüdinnen und Nichtjuden/Nichtjüdinnen
mündet und deshalb gerade von Juden und Jüdinnen als nazistische
Selektion wahrgenommen wird. Mit anderen Worten manifestiert sich in der
Entebbe-Aktion mindestens eine extreme Ignoranz von Geschichte seitens der
RZ, wenn nicht mehr, die sich auch in anderen Verlautbarungen und Aktionen
äußert. Dennoch halte ich das Bemühen um Genauigkeit
hinsichtlich der konkreten Abläufe rund um Entebbe aus 2 Gründen
für durchaus angebracht:
Erstens, weil es sehr wohl einen qualitativen Unterschied macht, ob
explizit nazistisch das Merkmal "Jude/Jüdin" zugrunde gelegt
wurde und - wie des öfteren unterstellt - die beteiligten RZ-lerInnen
in Wirklichkeit verkappte Nazis gewesen seien, oder ob eben entsprechend
des damaligen in der Linken hegemonialen Antizionismusverständnisses
quasi "implizit" antisemitisch die israelische
Staatsbürgerschaft das Kriterium war. Was bedeuten würde,
daß die Politik von Brigitte Kuhlmann und Wilfried Böse sich von
der anderer Linker vor allem durch die Wahl ihrer militanten Mittel und die
damit verbundenen Konsequenzen und Zwänge unterschied. Die Diskussion
über bewaffnete Aktionen im allgemeinen bzw. über
Flugzeugentführungen im besonderen ist aber eine andere.
Und zum Zweiten, weil Entebbe zunehmend mehr zu dem Synonym für den
Antisemitismus der undogmatischen, radikalen Linken schlechthin geworden
ist - zum "makaberen Aktionshöhepunkt" (interim), zum
"tragischsten" Beispiel (Tatblatt), zur "Spitze des
Eisberges" (Terz) usw.-, hinter dessen Spektakularität nicht nur
eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Politik der RZ inklusive einem
sogenannten "Antizionismus" zu verschwinden droht, sondern das
auch die legale Linke ihrer Verantwortung für verhängnisvolle
Entwicklungen entbindet.
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